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Eroberungsgeist

«Les Français ont choisi l’espoir et l’esprit de conquête.»
Emmanuel Macron,
Staatspräsident Frankreichs, in der ersten Ansprache nach seiner Wahl am 14. Mai 2017

Man staunt über das kriegerische Vokabular in der französischen Politik. Dabei ist es eine äusserst konstruktive Botschaft, die der neue Staatspräsident Frankreichs mit dem Schlagwort des «esprit de conquête» auszusenden sucht. Wie der alle Treppen hinaufstürmende junge Mann in seinen Reden immer wieder deutlich macht, setzt er auf Aufbruchstimmung, Zukunftsvertrauen und Weltoffenheit. Damit setzt er sich vom «esprit de défaite» ab, den er beim Front National erkennt, der Verzagtheit nach der verlorenen Schlacht, dem Rückzug und der Abschottung. Das ist alles gut und psychologisch wohl bitter nötig in einer Zeit grosser Verunsicherung. Aber wie wäre es mit sprachlicher Abrüstung?

Bezeichnenderweise war es gar nicht Emmanuel Macron selbst, der das somit durchaus ambivalente Wort vom Eroberungsgeist in den französischen Präsidentschaftswahlkampf eingeführt hat, sondern die ehemalige Verteidigungsministerin Michèle Alliot-Marie, eine früh gescheiterte gaullistische Rivalin. Unter deren leisem Twitter-Protest übernahm er die Formel, die in der Bevölkerung offenbar einen Nerv traf. Es dauerte nicht lange, da benutzten fast alle politischen Kräfte den Slogan, bis hin zum Ultralinken Jean-Luc Mélenchon. Gegen diese Wand der selbsterklärten Eroberer vermochte es Marine Le Pen nicht mehr, den Begriff für sich zu nutzen und umzuwerten: Das Ziel war erreicht.

Dennoch bleibt ein schaler Beigeschmack, und es verwundert kaum, dass manche Kommentatoren wieder mit dem Adjektiv «bonapartistisch» zur Stelle sind. Denn der Begriff des Eroberungsgeistes hat gerade in Frankreich spätestens 1814 seine politische Unschuld verloren, als Benjamin Constant in seiner vielbeachteten Abrechnung mit Napoleon dessen brandgefährlichen kriegerischen «esprit de conquête et d’usurpation» geisselte. Der vor 250 Jahren in Lausanne geborene Romancier, grosse liberale politische Vordenker, französische Verfassungsarchitekt und Abgeordnete warnte dringend vor einer solchen Geisteshaltung, die zur Anmassung verführt. Das gilt auch dann noch, wenn es – wie heute – nicht um Feldzüge im militärischen, sondern nur im programmatischen Sinne geht. Eine weniger aufrührerische Rhetorik wäre angeraten. Der berühmte «Ruck», von dem 1997 der damalige deutsche Bundespräsident Roman Herzog sprach, dass er durchs Land gehen müsse: er tut’s auch.


Karen Horn
ist Dozentin für ökonomische Ideengeschichte, freie Autorin sowie Chefredaktorin und Mitherausgeberin der Zeitschrift «Perspektiven der Wirtschaftspolitik».

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