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Wagner in der Enge

Bevor Richard Wagner in Bayreuth seinen «grünen Hügel» fand (und sein «Wähnen» Frieden), hatte sich ihm ein solcher in Zürich geboten. Dort stand die Villa seines Gönners, Otto Wesendonck, der im Jahre 1851 als ein immens vermögender Grossbürger mit seiner geistreichen Frau, Mathilde, aus den Rheinlanden über New York an die Limmat gezogen war. Wagner […]

Bevor Richard Wagner in Bayreuth seinen «grünen Hügel» fand (und sein «Wähnen» Frieden), hatte sich ihm ein solcher in Zürich geboten. Dort stand die Villa seines Gönners, Otto Wesendonck, der im Jahre 1851 als ein immens vermögender Grossbürger mit seiner geistreichen Frau, Mathilde, aus den Rheinlanden über New York an die Limmat gezogen war. Wagner lebte zu diesem Zeitpunkt bereits in Zürich Enge im «Haus zum Abendstern». Die Wesendoncks logierten für sechs Jahre im Hotel Baur au Lac, bis der damalige Zürcher Stararchitekt, Leopold Zeugheer, den Prachtbau auf dem grünen Hügel in der Enge vollendet hatte.

Das benachbarte Grundstück mit dem Riegelhaus erwarb man schliesslich auch und die Wagners konnten dort im April 1857 einziehen; man nannte die Bleibe «Asyl», wie überhaupt Zürich seit 1849 dem ewigen Wanderkomponisten und seit den revolutionären Barrikadenkämpfen in Dresden steckbrieflich gesuchten Richard Wagner Asyl gewährte. Die Stadt gewährte ihm noch mehr. Alles, möchte man meinen, was er sich realistischer- und phantastischerweise erhoffen oder erträumen konnte: Anerkennung, wirkliche Resonanz, Gönnertum, das keine Grenzen zu kennen schien. Wäre da nicht die Gefühlsverwirrung mit der Frau seines wichtigsten Protektors gewesen… Es grenzt ans Unwahrscheinliche, dass dieser erratisch-genialische Sachse, dieser Brausekopf mit Sehnsucht nach Luxus und Unsterblichkeit (trotz selbstmörderischen Gedankenspielen) in dieser damals noch kleinen, gerade 17’000 Einwohner umfassenden Stadt gesetzter Bürgerlichkeit solchermassen reüssieren konnte. Es ist das Zürich des liberal und tolerant gesonnenen Bürgertums, wie es Gordon A. Craig unter dem Vorzeichen der Symbiose von «Geld und Geist» beschrieben hat (1988), jenes Zürich, das Gottfried Keller in der Mitte des 19. Jahrhunderts so wirkungsvoll mit Berlin zu vergleichen verstand, ein Laboratorium für die Synthetisierung von Besitz und Bildung.

Dass Wagner nicht nur Leipzig, Riga, Dresden, Paris, etwas London, viel Venedig und vor allem Bayreuth in sich hatte, wissen wir spätestens seit Eva Martina Hankes bahnbrechender Studie «Wagner in Zürich» (2007), wenngleich es längst hätte offensichtlicher sein können, dass diese für Wagner bis dahin immens lange, hauptsächlich an einem Ort verbrachte Zeit (1849–1858) zu den wichtigsten Schaffensphasen gehört hat. Dieser von Laurenz Lütteken betreute, vorzügliche Ausstellungskatalog zeigt, wie unmittelbar die Atmosphäre Zürichs zur Entfaltung von Wagners Schaffen beigetragen hat, und zwar im Bereich seiner ästhetischen Schriften, Librettodichtungen, Kompositionen, aber auch seiner Aufführungs-praxis – von seinen Briefen, namentlich jenen an Mathilde Wesendonck, zu schweigen. Dass die Zürcher Bürgerlichkeit sogar noch in den Meistersingern nachgewirkt hat, gehört zu jenen Befunden, die selbst den grössten Wagner-Enthusiasten nicht unbedingt präsent sein dürften.

An diesem wohlkomponierten, ausgesprochen lehrreichen Band kann kein an Wagner Interessierter achtlos vorbeigehen. Er stellt Zürich als einen für Wagner entscheidenden Kunstraum vor, der ihm ästhetische wie auch soziale und emotionale Experimente ermöglichte, einen Kunstraum, den der Komponist verinnerlicht hatte und später in der fränkischen Provinz – soweit darf man nach der Lektüre dieses Bandes gehen – in kondensierter Form, neu und ganz auf sich und sein Werk zugeschnitten, verwirklichen konnte.

Sucht man heute Wagners wegen die einstige Villa Wesendonck auf, das heutige Museum Rietberg (als ich es zuletzt sah, wirkte es etwas verwahrlost, anti-wesendonckisch, weniger Asyl denn Relikt), dann vielleicht am besten frühmorgens oder zu vorgerückter Abendstunde, wenn das Museum geschlossen ist. Denn erst dann kann sich die Möglichkeit einstellen, in der ungeheuren Stille, die zu solchen Nichtbesuchsstunden diese Häuser umgibt, etwas von der dort einst entstandenen Musik zu hören. Fehlt also diesem Katalog nur noch eines, um heutigen Medienerfordernissen zu huldigen: eine Compactdisc mit einigen – gespielten und gelesenen – Zürcher Stücken aus Wagners Werk.

vorgestellt von Rüdiger Görner, London

Laurenz Lütteken (Hrsg.): «Kunstwerk der Zukunft. Richard Wagner und Zürich (1849–1858)». Zürich: Verlag Neue Zürcher Zeitung, 2008

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