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Überaus korrekt

Von Engstirnigkeit, ausufernden bürokratischem Regelwerk und vor allem: von zu wenig Humor. Ein Essay.

Überaus korrekt
Die deutsche Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff, fotografiert im «Hotel St. Josef» in Zürich.

Ja, ja und nochmals ja, es ist ein Segen, dass Frauen inzwischen in grosser Zahl in gesellschaftlich anerkannte Berufe vordringen; es ist ein ebensolcher Segen, dass sich Homosexuelle frei zu ihrer Liebe bekennen dürfen, ohne dafür gesellschaftliche Nachteile befürchten zu müssen. Dass die seit Jahrzehnten erhobene Forderung «Gleicher Lohn für gleiche Arbeit» noch immer nicht flächendeckend durchgesetzt werden konnte, ist hingegen ein Skandal. Dass zumindest die älteren Frauen mit wesentlich kümmerlicheren Renten auskommen müssen als die Mehrzahl der Männer, ebenfalls. Mich freut jede kluge Frau, die eine Firma leitet, mich erfreuen tatkräftige Politikerinnen, die die Demokratie verteidigen; ich wünsche mir mehr Frauen in den Aufsichtsräten grosser Firmen, vor allem auch mehr einflussreiche Bankerinnen. Mehr und mehr Frauen haben sich inzwischen auch als Theater- und Filmregisseurinnen einen Namen machen können. Auch das begrüsse ich von Herzen. Gottlob ist es inzwischen auch üblich geworden, dass man kleine Kinder, die zwiegeschlechtlich geboren werden, nicht mehr operativ verstümmelt, um aus ihnen mann- oder fraudefinierte Geschlechtswesen zu machen. Auch wenn dies nur eine kleine Zahl von Menschen betrifft, ist dies ein bemerkenswerter Fortschritt im Sinne einer mitfühlenden und freiheitlichen Haltung.

Der aufgezwickte Geist

Obwohl ich mich immer zu Männern erotisch hingezogen fühlte, sind Frauen ein höchst wichtiger Teil meines Lebens. Die wechselseitigen Freundschaften gestalteten sich im wesentlichen ohne Konkurrenzneid, heute sind sie getragen von wechselseitiger Fürsorge, vor allem aber illuminiert von scharfen Witzen.

In ganz jungen Jahren, kurz nach der Schulzeit, hat mich die damals aufblühende Frauenbewegung in Westberlin interessiert. Die Neigung war jedoch von kurzer Dauer. Mich ärgerte zunehmend der Kleingeist, das mangelnde Interesse an intellektuellen Themen, vor allem aber das rigide Urteil über Männer, im Schlepp mit dem Wunsch, sie zu kastrieren und in handzahme Häschen zu verwandeln, um sie alsbald, wenn man sie denn so weit hatte, Knall auf Fall wieder zu verlassen. Das geschah, ohne den eigens inszenierten Teufelskreis zu durchschauen, denn es gibt erotisch nun mal nichts Faderes unter der Sonne als einen allseits ergebenen Mann. Etliche der damals in Westberlin ziemlich rigid verfassten Frauen sind denn auch allein geblieben, zumindest ohne dauerhafte Bindung.

«Vielleicht besteht die Besonderheit meines Freundinnenkreises darin, dass unsere Mütter keine geschurigelten, ihren Männern hörige Frauen waren.»

Meine Freundinnen und ich verachteten die Zeitschrift «Emma», machten lockere Witze über die Postille, die darauf hinausliefen, das fade Blättle sei die Hinterlassenschaft der einst hochdekorierten Reichsfrauenführerin Gertrud Scholtz-Klink, nur eben in rhetorisch abgerüsteter Nachkriegsgestalt. Klingt gemein, ist es auch, aber der aufgezwickte Geist muss sich nun mal Luft verschaffen. Die einzige Frauenzeitschrift, die uns damals amüsierte, war die «Schwarze Botin», ein ausnehmend kurioses und geistreiches Blatt. Ansonsten sehnten wir uns nach den französischen Verhältnissen, denn in Paris war längst eine potente Riege einflussreicher Frauen herangewachsen, die sich psychoanalytischen und philosophischen Theorien verschrieben hatte und nicht so spiessig und engstirnig wirkte wie die Wortführerinnen der deutschen Frauenbewegung, von denen kaum eine intellektuelle Schlagkraft entwickelte.

Wie’s in unsrer Runde damals zuging, illustriert ein Beispiel. Eine der Freundinnen, eine ausserordentlich höfliche Person, wurde von einem Assistenten der Politologie verfolgt. Heute würde man vielleicht sagen: gestalkt. Nun, das sollte sich bald ändern. Wir sassen zu dritt in ihrem Wohnzimmer. Es klingelte. Besagter Assistent stand vor der Tür. Unsere Freundin, nicht faul, bat ihn, kurz zu warten, dann holte sie einen Teller aus der Küche, reichte diesen zur Tür hinaus mit der Bemerkung, darauf könne er nun wichsen. Wir amüsierten uns königlich. Wenn wir uns treffen, gehört es bis heute zum Standardrepertoire, scheinheilig zu fragen: «Was macht denn unser Tellerwichserlein?»

Eine andere kleine Story sei noch erlaubt: Bei den Psychologen gab es einen Professor, der aussah wie Slavoj Žižek in abgespeckter Form. Er spuckte beim Reden und schwitzte enorm. Ein Faselant der freien Liebe, der am liebsten mit allen Studentinnen seines Seminars eine Orgie gefeiert hätte. Aus Sicht der arroganten Philosophen und Religionswissenschafter, zu denen ich gehörte, waren Psychologie und Pädagogik die Kindergartenfächer der Freien Universität. Aus Neugier besuchte unsere Dreierrunde das Seminar des Psychologen. Die Fama hielt, was sie versprach. Der Kerl war ein absurder Dummkopf, aber wir hatten unseren Spass und spedierten ihm fünf mit Griessbrei gefüllte Kondome in seine Aktentasche. Man halte uns bitte zugute – wir waren damals neunzehn Jahre alt, gewissermassen noch in der Spätpubertät.

Vielleicht besteht die Besonderheit meines Freundinnenkreises darin, dass unsere Mütter keine geschurigelten, ihren Männern hörige Frauen waren, was es uns erheblich leichter machte, der männlichen Dominanz mit Witz und Sarkasmus zu begegnen. Meine Mutter war geschäftstüchtig. Ich habe mir oft eine liebe Hausfrau als Mütterchen gewünscht, denn sie war knallhart. Beizeiten schärfte sie mir ein: Womit du dein Geld verdienst, ist mir wurscht. Hauptsache, du verdienst es und verlässt dich auf niemanden sonst. So ist es denn auch gekommen. Finanziell war ich nie abhängig von einem Mann. Heute bin ich froh darum.

Die Engstirnigkeit und ihre Widersprüche

Natürlich sind es privilegierte Verhältnisse, in denen ich aufgewachsen bin, zumal es im familiären Umkreis selbstverständlich war, dass gut ausgebildete Frauen anständig verdienten. Mich hat nie jemand geschlagen, erst recht kein Mann. Dafür habe ich ein einziges Mal zugeschlagen und einem Mann eine schallende Ohrfeige verpasst, nämlich Christof Schlingensief. Das hatte nichts mit Eros zu tun, sondern mit einer widerwärtigen geschäftlichen Betrügerei. Ich weiss wohl, dass die Schicksale von Frauen, die unter männlicher Herrschsucht aufgewachsen sind, äusserst brutal sein können, und kann mir nur schwer vorstellen, wie schwierig es sein muss, sich aus einem solchen Kerker zu befreien.

Dass im Zuge der Frauenbewegung auf empörende Diskriminierung und brutales Gehabe von Männern, auf das obszöne Stammtischgeschwätz und auch auf ein scheussliches Vokabular hingewiesen wurde, das die Abkunft aus der Nazizeit unschwer erkennen liess, war zweifellos ein enormer Fortschritt, dem ich zu einem Gutteil auch mein eigenes Wohlleben verdanke. Aber leider – leider gibt es immer wieder die Tendenz, das eigentlich Gute zu unterminieren durch Engstirnigkeit und ein ausuferndes bürokratisches Regelwerk, wodurch der gerade errungene Fortschritt alsbald in eine Kippfigur verwandelt wird. Flugs fletscht diese die Zähne, richtet Unheil an und befördert eine neue Form der Idiotie. Allein das komplett die deutschen Universitäten durchherrschende Wort Studierende ist so ein blödsinniges Bürokratenungeheuer. Wir Frauen an der Freien Universität der siebziger Jahre hatten nicht die geringste Herabsetzung darin erkennen können, dass wir allesamt Studenten waren und in der Einzahl dann eben eine Studentin. Von den idiotischen Binnenmajuskeln, um beiden Geschlechtern gerecht zu werden, erst gar nicht zu reden. Wie unschön, wie schwerfällig die Sprache wird, welch lächerliche Ungetüme sich im Deutschen urplötzlich durch die Sätze winden, das bekümmert die auf ihren bürokratischen Palmen sitzenden Frauen offenkundig nicht.

Wenn ich höre, dass es an sämtlichen amerikanischen Universitäten inzwischen Usus ist, dass die Dozenten, Männer wie Frauen, ihre Türen offen halten, wenn sie mit einem ihrer Schützlinge sprechen, kann ich nur noch den Kopf schütteln. Gibt es eine idiotischere Einschränkung des dem freiheitlichen Geist verpflichteten Universitätswesens?

Apropos Sex zwischen Professoren und Studentinnen: natürlich gab es das auch zu meiner Studienzeit. Wir haben darüber herzhaft gelästert. Es handelte sich dabei keineswegs um Frauen, die die Professoren gewaltsam über den Tisch ziehen mussten, sondern um Studentinnen, die sich förmlich anboten, weil sie geistreiche ältere Männer verehrten oder sich einen Vorteil vom angebeteten Schmusepapi ersehnten. Da es sich dabei ausschliesslich um Erwachsene handelte, die, zu wessen Vorteil auch immer, es miteinander trieben, kann ich darin bis heute keinen Frevel erkennen. Nur in seltenen Fällen dürften ernsthaft zu beklagende Gewaltverhältnisse im Spiel gewesen sein, die vor den Kadi gehört hätten.

Kleines Beispiel: ein ziemlich angebeteter und zugleich ziemlich verrückter Professor war damals der Philosoph Jacob Taubes. Monsieur Taubes war ausserordentlich geistreich, aber hin und wieder dem psychischen Verfall nahe. Er umgab sich gern mit jungen Studentinnen, die ihn verehrten, vermutlich auch aus dem bizarren Grund, dass sie in dem berühmten Juden etwas Aufregendes witterten, das in höchst unheimlicher Beziehung zur deutschen Vergangenheit stand. Anders liess sich die Attraktion des wesentlich älteren Mannes, der nicht gerade ein Beau war, nur schwer erklären. Taubes hielt häufig Hof in der «Paris Bar». Ich wohnte damals schräg gegenüber von ihm in derselben Strasse in Berlin-Grunewald und war eine flotte Alfa-Fahrerin. Kurzum, drei- oder viermal nahm ich ihn von der Bar aus im Auto mit und fuhr ihn nach Hause. Jedes Mal dasselbe Spiel: Taubes fiel mir schräglings vor die Brust, ich hatte Mühe, ungehindert die Schaltung zu bedienen, weil ich ihn mit der rechten Hand immer wieder fernhalten musste. Aber es gelang. Wir kamen wohlbehalten an. Ich lieferte ihn vor seinem Haus ab. Kleiner Klaps auf sein neugieriges Händchen. Aus die Maus. Böse war ich ihm deswegen nie. Eher belustigt.

Kommen wir noch einmal auf die anscheinend dem emanzipatorischen Wohl dienende Sprachregelungsflut zurück. Sie hat eine äusserst gefährliche Kehrseite. In ihrem Rücken gedeiht als Konterpart die zutiefst menschenverachtende Sprache der rechtsradikalen Parteien mit voller Wucht. Diese Leute scheren sich keinen Deut darum, Wörter zu benutzen, die einst die nationalsozialistische Propaganda auszeichneten, im Gegenteil, sie provozieren mit Vorliebe damit, um die sogenannten Emanzipations- und Gutmenschen auf die Palme zu bringen. Man kann ihren Gesichtern förmlich ansehen, welchen Spass sie dabei haben. Gäbe es die lächerliche Sprachpolizei der anderen Seite nicht, täten sie sich ungleich schwerer damit, regelmässig für Aufregung zu sorgen und mit dieser kalkuliert eingesetzten Methode ihr Ansehen zu vergrössern.

«Natürlich wäre es einfach, wenn die Guten Gutes schrieben und die Bösen Schlechtes. Leider ist das nicht immer so.»

Das allzu sehr in der Sprachregelung sich suhlende korrekte Mädchenspiel ruft das böse Bubenspiel auf den Plan. Natürlich machen beim Bösebubenspiel auch einige Frauen mit, die sich besonders apart wähnen. Es gibt eben nicht nur AfD-Männer wie Alexander Gauland, der eines der Lieblingsworte des Führers, den Gau, im Namen trägt. Frauke Petry, Alice Weidel, und wie sie alle heissen, gerieren sich dabei liebend gern besonders scharf. Die unsägliche Beatrix von Storch hat bekanntlich für den Schusswaffengebrauch plädiert, um Flüchtlinge an der Einwanderung zu hindern. Wobei im Hintergrund – zumindest in Deutschland – auch immer die Familientradition dieser Scharfschwätzer wetterleuchtet. Beweisen kann ich es zwar nicht, aber die Vermutung sei erlaubt, dass die etwas jüngeren Rechtsradikalen, die inzwischen den Ton angeben, meistenteils aus Familien stammen, die sich einst mit voller Leidenschaft dem Nazikult verschrieben hatten, insbesondere deren Grosselterngeneration.

Kompliziert wird es mit den Schriftstellern und Intellektuellen, die mit fliegenden Fahnen zum Nationalsozialismus übergelaufen waren. Natürlich wäre es einfach, wenn die Guten Gutes schrieben und die Bösen Schlechtes. Leider ist das nicht immer so. Louis-Ferdinand Céline, der zweifellos ein schauerlicher Nazikriechling war, hat zwei ausgezeichnete Bücher geschrieben, eines über den Arzt Semmelweis, später sein berühmtes Werk «Reise ans Ende der Nacht», das die Grauen des Ersten Weltkriegs thematisiert. Über den Menschen kann man den Stab brechen, die beiden Bücher verdienen es trotzdem, gelesen zu werden. Ein für die Deutschen näherliegender Fall ist Carl Schmitt. Seine nach dem Krieg erschienene Rechtfertigungsschrift «Ex Captivitate Salus» ist verlogen und weinerlich zugleich. Schmitt hat während der Nazizeit fürchterliche Aufsätze verfasst, überdeutlich im judenhetzerischen Bestreben, sich den Machthabern anzudienen. Dennoch sind einige seiner Bücher lesenswert – insbesondere die Schrift «Land und Meer», die ich im schwirrenden Kosmos der Lektüren nicht missen möchte. Sowohl Céline als auch Schmitt sähe ich liebend gern in der Hölle schmoren, durchaus auf die von Dante Alighieri minutiös beschriebenen Arten nach Kräften gepeinigt. Carl Schmitt hat immerhin noch zu Lebzeiten ein klein wenig von der Hölle gekostet, denn im Krankenhaus, in dem er als paranoid gewordener Greis schliesslich starb, schrie er sich förmlich die Seele aus dem Leib, stundenlang.

Vorverurteilungen

Kommen wir zum Schluss noch auf ein anders gelagertes Geschehen zu sprechen, das monatelang sowohl die seriösen Zeitungen als auch die Boulevardpresse beschäftigte. Gemeint ist der vermeintliche Skandal um den Wettermann Kachelmann. Als der Fall aufkam und ich die ersten Artikel darüber las, fand ich es höchst unwahrscheinlich, dass es nötig ist, eine eifersüchtige Frau, die düpiert wurde und deshalb am Rande des Nervenzusammenbruchs steht, eigens zu vergewaltigen. Es widerspricht schlicht allen Erfahrungen, die ich aus Erzählungen über eifersüchtige und tief gekränkte Frauen kenne.

Bevor der Prozess überhaupt begann, schrieb Alice Schwarzer einen Artikel, der Jörg Kachelmann eindeutig beschuldigte. Dass der Mann höchst unsympathisch wirkt, steht auf einem Blatt, auf dem anderen muss aber, bevor ein Prozess begonnen hat, die Unschuldsvermutung stehen. Im übrigen ist mein Mitleid mit Frauen begrenzt, die sich mit windigen Männern einlassen und deren Versprechungen geradezu zwanghaft glauben, obwohl das Verhalten ihrer Liebhaber etwas gänzlich anderes erzählt. Kommt dann törichte Rachsucht hinzu und die Unfähigkeit, aus dem eigenen Abgrund zu klettern, um Klarheit zu gewinnen, muss man über das in den Hirnen und Herzen solcher Frauen eingebaute Schwungrädchen des Masochismus grübeln. Das Leidenstheater wird nicht der Phantasie überantwortet, wo es hingehört, sondern mit allen Tücken, die es mit sich bringt, auch ausgelebt. Masochismus und Sadismus geben sich gern die schmierigen Händchen. Muss man mit zutiefst rachsüchtigen Menschen, die nie gelernt haben, sich an die eigene Nase zu fassen, wirklich Mitleid haben? Nur weil es Frauen sind?

Um es noch einmal zu betonen: ich halte den Mann, der hier im Spiel war, für einen unangenehmen Zeitgenossen, mit dem ich ebenfalls kein Mitleid empfinde. Da haben sich zwei Schreckenskandidaten zu einem anrüchigen Pas de deux gefunden. Justiziabel ist aber nun einmal nicht, wenn ein Mann eine Frau anlügt, ihr das Blaue vom Himmel verspricht und sich dann salopp gesprochen vom Acker macht.

«Idiotie entlarvt sich bisweilen gottlob von selbst.»

Inzwischen wurde diese Geschichte längst von den Skandalen um den Filmproduzenten Harvey Weinstein und in Deutschland um den Regisseur Dieter Wedel verdrängt. In beiden Fällen hat sich eine Vielzahl von Frauen zu Wort gemeldet, um deren Sexverhalten anzuprangern. Privat neige ich der Auffassung zu, dass da etwas dran sein muss, wenn so viele Frauen ihre Stimme erheben. Doch bevor noch kein glaubwürdiges Gericht zu einer Verurteilung gelangt ist, gilt auch hier die Unschuldsvermutung. Dass man Kevin Spacey aus einem Film herausgeschnitten und seine Rolle mit einem anderen Schauspieler besetzt hat, kann ich nicht verstehen. Ebenso absurd finde ich, dass nun alle Filme von Woody Allen auf dem Index stehen. Auch in diesen beiden Fällen gibt es keine Gerichtsurteile. Doch selbst wenn Gerichte zu der Auffassung gelangen sollten, dass hier strafbare Handlungen vorliegen, muss man sich damit abfinden, dass das Werk eines Menschen, selbst wenn er sich die Sympathie vieler Menschen verscherzt hat, dennoch gelungen sein kann. Moralingesäuerte Kleingeisterei taugt zur Beurteilung von Filmen und Büchern keinen Pfifferling.

Hypermoral

Kurzum: die Hypermoral gebiert ihre eigenen Gespenster. Sie verschärft die Paranoia und hält uns davon ab, wichtige Übel, die dringend der Abhilfe bedürfen, von denen zu unterscheiden, die einfach nur im Menschlichen und Allzumenschlichen siedeln, gegen das nun mal kein rechtes Kraut gewachsen ist. Das Spiel des Eros war noch nie ganz und gar gefahrenfrei, erst recht nicht aseptisch. Da wirkt es wie ein Schildbürgerstreich, wenn die Schweden inzwischen empfehlen, vor dem Beischlaf oder sonstigen Spässen eine Einvernehmlichkeitserklärung zu unterzeichnen. Man mache sich bitte klar: je mehr man versucht, die erotischen Begegnungen von Menschen, seien diese nun heterosexueller oder homosexueller Natur, zu regulieren, gar zu verrechtlichen, desto mehr macht man ihnen den Garaus, fördert dabei aber ungewollt zutiefst verstörende und schandbare Praktiken, die das Internet seit langem zuhauf anbietet. Keine schöne neue Welt erhebt da ihr Janushaupt, sondern eine überregulierte und zugleich gewalttätig perverse. Oder eine lächerliche. Über die Entfernung eines Gedichts von Eugen Gomringer von der Hauswand einer Berliner Hochschule, weil’s anscheinend a weng sexelt, gackern inzwischen schon die Hühner. Kein Grund, sich zu ärgern. Idiotie entlarvt sich bisweilen gottlob von selbst.

Dieser Essay ist eine von der Autorin gemeinsam mit der Redaktion bearbeitete Version eines Vortrags, den Sibylle Lewitscharoff im Februar 2018 anlässlich einer Veranstaltung der Paulus-Akademie und der Progress Foundation in Zürich hielt. Der «Schweizer Monat» war Medienpartner. Wir danken den Verantwortlichen und der Autorin für die freundliche Zusammenarbeit.

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