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«Typisch Frau!»

Nicht die familiäre Herkunft oder das Geschlecht bestimmen angeblich über unsere gesellschaftliche Position, sondern einzig und allein die Leistung. Von wegen.

«Typisch Frau!»
Hinter dem Vorhang spielt die Gleichberechtigung – die Studie von Goldin und Rouse zeigt, wie sich der Frauenanteil in Orchestern erhöht, wenn das Vorspiel anonym verläuft. Bild: fotolia.

Es ist noch keine 30 Jahre her, dass Männer von Gesetzes wegen bestimmen durften, ob ihre Ehefrauen eine bezahlte Erwerbstätigkeit annehmen dürfen oder nicht. Inzwischen haben Frauen formal weitgehend die gleichen Rechte wie Männer. Trotz dieser Fortschritte sind wir aber bis heute von tatsächlicher Gleichstellung weit entfernt – viele Frauen verdienen weniger als Männer in denselben Positionen, sie sind auch in den Chefetagen untervertreten. Welche Ursachen hat das?

Nur die Leistung zählt?

Die Gründe für diese Ungleichheiten sind vielfältig. Als erstes drängt sich die Frage auf, ob das Versprechen, dass nur die Leistung zählt, auch eingelöst wird. Schaut man sich die sehr hoch angesetzten Gehälter, Boni und Abfindungen von Topmanagern (die männliche Form ist hier bewusst gewählt worden) an, kommen zumindest gewisse Zweifel auf. Dies insbesondere, wenn die Performance nicht ersichtlich ist und Firmen in kostspielige Skandale verwickelt sind oder gar vom Staat gerettet werden müssen. Es muss vermutet werden, dass auch noch andere Vorgänge als das Leistungsprinzip eine Rolle spielen.

Da die Leistung im Job (besonders für Aussenstehende) schwierig zu messen ist, ist es leicht zu sagen, Frauen würden sich weniger anstrengen und deshalb seltener befördert. Begründet wird dies jeweils entweder mit anderen Präferenzen oder mit der Doppelbelastung zwischen Erwerbs- und Hausarbeit, die aber auch als individuelle Präferenz betrachtet wird. Vergessen gerät dabei, dass Präferenzen nicht einfach vom Himmel fallen, sondern vom sozialen Kontext geprägt werden.

Einige amerikanische Studien, in denen die Leistung mittels Evaluationen gemessen wurde, zeigen, dass die These der geringeren Arbeitsanstrengung von Frauen falsch ist. Es stellte sich vielmehr heraus, dass Frauen im Durchschnitt eher bessere Bewertungen erhalten als Männer, letztere aber trotzdem eher befördert werden1 oder grössere Lohnerhöhungen erhalten2. Zu vergleichbaren Ergebnissen kommt eine breitangelegte Metastudie, die aufzeigt, dass bei gleicher Leistung die Lücke bei Beförderungen und beim Lohn in prestigeträchtigeren Jobs deutlich grösser ist als in den weniger angesehenen3.

Bei diesen auf statistischen Daten basierenden Studien wird jeweils schnell Kritik am Forschungsdesign laut. Dabei wird – teilweise zu Recht – bemängelt, es sei nicht auszuschliessen, dass neben der Leistungsevaluation weitere, nicht beobachtete Faktoren, bei denen sich die Geschlechter unterschieden, beförderungs- oder lohnrelevant seien und der sogenannte Diskriminierungseffekt überschätzt werde. Umgekehrt wird aber jeweils unterschlagen, dass genauso gut auch das Gegenteil zutreffen kann, also vorgelagerte Diskriminierungen zu Unrecht «wegkontrolliert» werden.

Mit experimentellen Untersuchungsanlagen kann man diese Probleme umgehen. Ein bekanntes Beispiel dafür ist die Orchesterstudie der beiden Ökonominnen Claudia Goldin und Cecilia Rouse4: Sie zeigte, dass sich der Frauenanteil in den Orchestern deutlich erhöhte, wenn die Kandidatin oder der Kandidat beim Vorspielen hinter einem Vorhang und somit für die Jury unsichtbar blieb.

Haben Frauen andere Präferenzen?

Wenn es nicht an der Leistung liegt, woran liegt es dann? Haben Frauen einfach weniger Interesse an einer Karriere und fokussieren sie sich lieber auf den Haushalt und die Kindererziehung?

Eine Schweizer Studie, die den Einfluss des Arbeitseinsatzes und der Motivation auf den Lohn untersuchte, kommt zur Erkenntnis, dass Frauen nicht weniger motiviert sind als Männer. Bedingt durch die deutlich grössere Belastung von Hausarbeit und Kinderbetreuung, arbeiten Frauen hingegen öfter in Jobs, die eine geringere Arbeitsanstrengung erfordern. Allerdings: auch damit lassen sich die in der Studie festgestellten geschlechtsspezifischen Lohnunterschiede nicht erklären5.

Die scheinbare Präferenz für die Haus- und Familienarbeit wird ausserdem mit einer kürzlich erschienenen, experimentellen Untersuchung aus Deutschland deutlich widerlegt. Die Autorinnen wollten herausfinden, ob Frauen, wie gemeinhin angenommen, tatsächlich eine Vorliebe für die Hausarbeit haben. Dazu liessen sie ihre Probandinnen und Probanden Situationen mit unterschiedlicher Aufteilung von Erwerbs- und Hausarbeit in Paarhaushalten beurteilen. Für jede Situation musste angegeben werden, wie zufrieden man selbst dabei wäre. Das Resultat? Frauen und Männer unterscheiden sich diesbezüglich nicht: Am zufriedensten sind beide Geschlechter in nahezu allen Situationen, in denen die Hausarbeit je hälftig aufgeteilt wird, unabhängig davon, wie viel beide arbeiten und ob mit oder ohne Kinder. Besonders bemerkenswert ist, dass diese Präferenz für eine egalitäre Aufteilung der Hausarbeit auch gilt, wenn die befragte Person Teilzeit arbeitet und der Partner oder die Partnerin Vollzeit6.

Es kann also keine Rede davon sein, dass Frauen einfach lieber zu Hause bleiben. Warum tun sie es dann trotzdem? Es scheint einen «impliziten Gesellschaftsvertrag» zu geben. Was dieser genau beinhaltet, zeigt die Dissertation von Karin Schwiter7, die das Spannungsfeld zwischen Individualisierung, der Verwirklichung persönlicher Präferenzen und (oft unbewussten) gesellschaftlichen Vorstellungen herausgearbeitet hat. Die darin befragten jungen Erwachsenen skizzieren ihre Zukunftsvorstellungen in bezug auf das Arbeits- und Familienleben als Abfolge freier und bewusster Entscheidungen, die völlig unabhängig von gängigen Normen getroffen werden. Gleichzeitig kristallisiert sich aber heraus, dass sie sich sehr wohl an tradierten Rollenvorstellungen orientieren. Das zeigt sich beispielsweise daran, dass nur Abweichungen von Rollenbildern begründet werden, das Einhalten derselben aber als selbstverständlich angesehen wird. Während beispielsweise ein «Papa-Tag» etwas für viele durchaus Einleuchtendes, gar als «progressiv» Wahrgenommenes ist, erntet man konsternierte Blicke, spricht man von einem «Mama-Tag».

So oder so: unsere Gesellschaftsordnung basiert weitgehend auf der tradierten Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern. Viele Institutionen, etwa das Schweizer Steuersystem, sind beinahe ganz darauf ausgerichtet – was sich auch nur langsam ändert. Da Männer oft die besseren Jobs haben und mehr verdienen, folgt die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung auch weitgehend einer rational-ökonomischen Logik. Allerdings: hier beisst sich die Schlange in den Schwanz, was vermutlich ein wichtiger Grund für die Persistenz dieses Systems ist. Und: vielleicht fügen sich die Frauen aber auch, damit der Haussegen nicht permanent in Schieflage gerät. Dazu fehlte zwar bisher die empirische Evidenz, alltagspraktische Beobachtungen allerdings sind zur Genüge vorhanden. Zudem sind Männer diesbezüglich in der besseren Verhandlungsposition, haben sie doch nicht nur den «impliziten Gesellschaftsvertrag» auf ihrer Seite, sondern auch handfeste ökonomische Vorteile in Form höherer Einkommen.

Wird mit gleicher Elle gemessen?

Eine im Jahr 2013 vom Bundesamt für Statistik durchgeführte Befragung zeigt, dass in der Schweiz geschlechtsspezifische Rollenbilder weiterhin verbreitet sind. Beispielsweise gaben die Hälfte der befragten Männer und 38 Prozent der Frauen an, dass sie glauben, Kinder im Vorschulalter würden unter der Berufstätigkeit der Mutter leiden. Auch sind lediglich etwa 75 Prozent der Männer und gut 80 Prozent der Frauen der Meinung, dass Frauen und Männer sich gleich gut für hohe politische Ämter eignen8. Welche Bedeutung solche Stereotype für den beruflichen Erfolg haben, zeigt die sozialpsychologische Forschung eindrücklich: Frauen und Männern werden unterschiedliche Eigenschaften zugeschrieben, einerseits, wie sie (angeblich) sind, und andererseits, wie sie sein sollen. Dabei werden Attribute, die häufiger Männern zugeschrieben werden (zum Beispiel Durchsetzungsfähigkeit), öfter mit Führungspositionen assoziiert oder als dafür nötig angeschaut. Frauen kommen somit fast automatisch in eine Zwickmühle, wollen sie Karriere machen, denn das bedeutet, dass ihnen entweder die qualifizierenden (sprich «männlichen») Eigenschaften fehlen (oder abgesprochen werden) oder dass sie nicht mehr den «weiblichen» Rollenerwartungen entsprechen. Die Konsequenzen sind folgenschwer: Ihre Qualifizierung für die Führungsrolle wird zwar anerkannt, aber sie werden dafür als Person desavouiert und oftmals deswegen diskriminiert. In unzähligen Experimenten9 – 12 wurde gezeigt, dass an der Kompetenz erfolgreicher Frauen generell keine oder wenig Zweifel aufkommen, dass sie aber weniger gemocht werden. Das an sich ist zwar schon unangenehm und einigermassen skandalös, man könnte aber vielleicht noch eher darüber hinwegsehen, wenn es für die Karriere keine weiteren Konsequenzen hätte. Zusätzlich stellt sich aber immer wieder heraus, dass diese Frauen weniger häufig angestellt werden und man weniger mit ihnen zusammenarbeiten will.

Entgegen der landläufigen Meinung hilft hier auch Verhandeln nichts. Oft hört man, Frauen verhandelten halt schlechter und kämen deswegen nicht weiter. Das ist nachweislich falsch. Frauen verhandeln tatsächlich weniger als Männer, aber das ist – auch wenn es kontraintuitiv scheint – besser und nicht schlechter, denn Frauen, die mehr verhandeln, bekommen weniger! Die Gründe sind die gleichen: Zu viel verlangen wird als unweiblich angesehen und sofort bestraft, indem es erst recht keine Beförderung oder Lohnerhöhung gibt13.

Werden auch Männer ausgeschlossen?

Wie ist es im umgekehrten Fall? Gibt es Bereiche, zu denen Männer nur schwer Zugang haben? Folgt man der Logik der geschlechtsspezifischen Zuschreibungen von Tätigkeiten, lässt sich gut erklären, warum es Berufe gibt, die nur sehr selten von Männern ausgeübt werden, wie zum Beispiel Kindergärtner. Auch für sie wird das Prinzip «jeder nach seinen Wünschen und Fähigkeiten» regelmässig eingeschränkt, was für die freie Entfaltungsmöglichkeit des Individuums ein Problem ist. Im Zusammenhang mit sozialer Mobilität ist dieser Umstand jedoch weniger problematisch: Da Berufe mit hohem Frauenanteil oft im Tieflohnbereich angesiedelt sind und meist auch weniger Karriereperspektiven bieten, müssen Männer zumindest nicht um ihre soziale Position bangen, bleibt ihnen der Zugang zu diesen Bereichen aufgrund von Vorurteilen (beispielsweise: Frauen könnten «von Natur aus» besser mit Kindern umgehen) und (Selbst-)Stereotypisierungen erschwert. Gleichzeitig haben verschiedene Studien gezeigt, dass diejenigen Männer, die in frauentypischen Berufen arbeiten, zusätzliche Vorteile daraus ziehen und vergleichsweise noch häufiger Karriere machen14.

Was bleibt, wenn man die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Thema nüchtern betrachtet? Die Antwort ist einfach: viel zu tun! Menschen werden auch im 21. Jahrhundert noch als deviant betrachtet, wenn sie die ihnen zugeschriebenen Geschlechterrollen missachten. Diese Mechanismen untergraben das Leistungsprinzip und sind mit einer offenen, sich durch Chancengleichheit definierenden Gesellschaft nicht vereinbar.

 

 


Literaturliste
1 Francine D. Blau und Jed DeVaro: New Evidence on Gender Differences in Promotion Rates: An Empirical Analysis of a Sample of New Hires. Industrial Relations: A Journal of Economy and Society, 2007. 46 (3). S. 511 – 550.
2 Emilio J. Castilla: Gender, Race, and the New (Merit-Based) Employment Relationship. Industrial Relations: A Journal of Economy and Society, 2012. 51 (1). S. 528 – 562.
3 Aparna Joshi, Jooyeon Son und Hyuntak Roh: When Can Women Close the Gap? A Meta-Analytic Test of Sex Differences in Performance and Rewards. Academy of Management Journal, 2015. 58 (5). S. 1516 – 1545.
4 Claudia Goldin und Cecilia Rouse: Orchestrating Impartiality: The Impact of «Blind» Auditions on Female Musicians. The American Economic Review, 2000. 90 (4). S. 715 – 741.
5 Ben Jann: Erwerbsarbeit, Einkommen und Geschlecht – Studien zum Schweizer Arbeitsmarkt. Wiesbaden: VS, 2008.
6 Katrin Auspurg, Maria Iacovou und Cheti Nicoletti: Housework Share between Partners: Experimental Evidence on Gender-Specific Preferences. Social Science Research, 2017.
7 Karin Schwiter: Lebensentwürfe: junge Erwachsene im Spannungsfeld zwischen Individualität und Geschlechternormen. Frankfurt a.M./New York: Campus-Verlag, 2011.
8 BFS (2015): Erhebung zu Familien und Generationen. Web: https://www.bfs.admin.ch
9 Laurie A. Rudman, Corinne A. Moss-Racusin, Julie E. Phelan und Sanne Nauts: Status Incongruity and Backlash Effects: Defending the Gender Hierarchy Motivates Prejudice against Female Leaders. Journal of Experimental Social Psychology, 2012. 48 (1). S. 165 – 179.
10 Laurie A. Rudman und Peter Glick: Feminized Management and Backlash toward Agentic Women: The Hidden Costs to Women of a Kinder, Gentler Image of Middle Managers. Journal of Personality and Social Psychology, 1999. 77 (5). S. 1004 – 1010.
11 Madeline E. Heilman und Tyler G. Okimoto: Why Are Women Penalized for Success at Male Tasks? The Implied Communality Deficit. Journal of Applied Psychology, 2007. 92 (1). S. 81.
12 Alice H. Eagly und Sabine Sczesny: Stereotypes about Women, Men, and Leaders: Have the Times Changed? In: The Glass Ceiling in the 21st Century: Understanding Barriers to Gender Equality (hrsg. von Manuela Barreto, Michelle K. Ryan und Michael T. Schmitt). Washington: American Psychological Association, 2008. S. 21 – 27.
13 Hannah Riley Bowles, Linda Babcock und Lei Lai: Social Incentives for Gender Differences in the Propensity to Initiate Negotiations: Sometimes It Does Hurt to Ask. Organizational Behavior and Human Decision Processes, 2007. 103 (1). S. 84 – 103.
14 Mia Hultin: Some Take the Glass Escalator, Some Hit the Glass Ceiling? Career Consequences of Occupational Sex Segregation. Work and Occupations, 2003. 30 (1). S. 30 – 61.

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