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Rosa Schimmer des Alpenglühns

Therese Bichsel: «Nahe den Eisriesen. Prominenz in der Alpenprovinz von Goethe bis Hodler. Porträts». Oberhofen: Zytglogge, 2008

An sich ist es ja eine hübsche Idee, Berglust und -frust berühmter Alpenbesucher des 18. und 19. Jahrhunderts in literarischen Porträts zu versammeln. Besonders neu oder originell ist sie allerdings nicht; denn schon vor geraumer Zeit ist manches noch heute wirklich Lesenswerte über die Schweizreisen von Künstlern geschrieben worden. Wo allein der Blick auf Robert Walsers «Kleist in Thun» von 1907 verrät, wie atemraubend hoch die poetische Messlatte in diesem Genre angelegt werden kann und sollte, da will jeder neue Vorstoss gut überlegt sein. Wohl eher unbelastet von solchen Skrupeln, jedenfalls aber getragen von der eigenen Affinität zur «Alpenprovinz» und unter besonderer Berücksichtigung des Berner Oberlandes, schildert Therese Bichsel in ihren Prosaskizzen den durch Landschaftserleben kreativ stimulierten Künstler. Schade nur, dass sie sich bei ihren erkennbar seriös recherchierten Berg-/Mensch-Inspektionen allein auf gutgesicherte, aber deswegen eben doch reichlich ausgetretene Pfade wagt und sich dabei keineswegs immer auf der anstrebenswerten Höhe bewegt. Dem Rückgriff auf Bewährtes, auf die längst vielfach anekdotisch verbrämten Reisen einer Madame de Staël, eines Goethe, Kleist, Brahms oder Sir Arthur Conan Doyle nämlich, eignet hier eine wahrhaft unzeitgemässe Tendenz zum Ausblenden, Glätten und Harmonisieren. Folgerichtig endet die Stippvisite im 20. Jahrhundert bereits mit Hodlers malerischem Griff «nach den Alpen» von 1908.

Das wirkt durchaus programmatisch, weil es der Autorin nicht zuletzt den Umgang mit unbequemeren Denk- und Kunstfiguren erspart. Solchen etwa, wie Thomas Bernhards übellaunigem «Weltverbesserer», der die Alpen «widerwärtig» findet und gleich mehrfach betont, nichts so sehr zu hassen wie die Schweiz, ausser natürlich Interlaken. Bichsels Reisende an der Schwelle von Biographik und Fiktion bewegen sich dagegen bevorzugt in klischeedurchwehtem Raum. Dort, wo dieser dann auch noch vom «rosa Schimmer» des Alpenglühens überwölbt wird, kommt selbst ein wohlwollender Leser kaum mehr umhin, ein wenigstens genauso mildes Lächeln aufzusetzen wie der fiktive Felix Mendelssohn Bartholdy.

Passend hierzu finden sich immer wieder die längst bis zum Überdruss ventilierten und daher beinahe zwingend trivial anmutenden Stereotype über hochbegabte Menschen. Auch in der Berglandschaft bleibt der Künstler ein zumeist alltagsuntaugliches und sowieso grenzwertiges Genie. Mehr oder minder unfähig zur Kommunikation, wirkt er damit auf normale Leute stets ein wenig abschreckend. So, wie der grantelnde Touristenschreck Ferdinand Hodler, der seiner Valentine, nein, nicht die Briefmarkensammlung, sondern Landschaften und Porträts zeigt, woraufhin diese «noch im Atelier die Kleider abstreifte und ihn auf einer Decke an sich zog». Über das weitere Geschehen sei letztere wohl besser gehüllt, nicht aber ohne festzuhalten, dass solche absolut entbehrlichen Passagen durchaus typisch für die Schreibweise der Autorin sind.

«Kurzbiografien» und Sekundärliteratur werden als pädagogische Hilfsmittel beigegeben. Dem literarischen Anspruch des angemessen und interessant illustrierten Bandes laufen sie freilich illusionsstörend zuwider. Natürlich ist es in einer Zeit, wo jegliches Pathos verdächtig wirkt, ein heikel gewordenes Unterfangen, seinen Respekt vor herausragender fremder künstlerischer Leistung in angemessener poetischer Form mitzuteilen. Vielleicht geht dies daher nurmehr so liebenswürdig-schräg wie in Walter Moers Gottfried-Keller-Paraphrase «Der Schrecksenmeister» oder allenfalls noch in den geistreich-intertextuellen Spielen eines Robert Löhr («Das Erlkönig-Manöver») oder Michael Chabon («Das letzte Rätsel»). Niemand aber, wirklich niemand, ist heute dazu gezwungen, die Liebesbeziehungen Goethes oder die Lebenstragödie Heinrich von Kleists derart zu banalisieren, wie dies im vorliegenden Band geschieht. Glaubwürdige Einsichten in die Abgründe künstlerischen Schaffens werden zweifellos in einer anderen Sprache formuliert.

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