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Niemand will die Alten – nicht einmal sie selbst

Wie sollen ältere Arbeitnehmer ins Wirtschaftsleben integriert werden? – Ein Essay von Nikolaus Storz.

Mit Erreichen der «Alterskohorte fünfzig» gehört man gemäss der aktuellen Forschungs- und Wirtschaftspraxis zu den Alten. Neu ist diese Feststellung beziehungsweise die daraus resultierende Forderung nach Integration dieser Alterklasse ins Wirtschaftsleben nicht. Wo also liegt das Problem? Verharren wir etwa in wohlfühliger Aufbruchsstimmung? Oder sind wir schon weiter?

Produktive Mitwirkung in der Arbeitswelt

Einer der zentralen Aspekte zur Beantwortung dieser Fragen ist die Leistungsfähigkeit der Alten. Zu diesem Thema hat der finnische Forscher Juhani Ilmarinen wichtige Beiträge geleistet. Er ist einer der bekanntesten Experten für Arbeitsfähigkeit im Alter. Wenn man einen Arbeitskontext schafft, der gezielt auf die Bedürfnisse auch älterer Arbeitnehmer eingeht, so Ilmarinen, steht deren produktiver Mitwirkung in der Arbeitswelt nichts im Wege. Seine Studien in Finnland belegen, dass unter anderem wegen zu früher Pensionierungen pro Mitarbeiter im Schnitt fünf bis sechs produktive Jahre verlorengehen.

Altersspezifische Stärken und Schwächen

Sehr anschaulich lässt sich die Leistungsfähigkeit im Verlaufe des Alterns anhand von Defizit- und Kompetenzmodellen darstellen. Defizitmodelle erlauben es, den schrittweisen Verlust von beispielsweise Körper- und Sehkraft und Konzentrationsfähigkeit aufzuzeigen. Demgegenüber identifizieren Kompetenzmodelle die Zunahme von Fähigkeiten wie effizientes, gezieltes Arbeiten, ganzheitliches Problemverständnis sowie fundierte Problemlösungskompetenz. Wie schwer altersspezifische Schwächen wiegen, und ob die Stärken wirksam zum Tragen kommen, entscheidet letztlich der Kontext, in dem die Arbeit geleistet wird.

Älter werden ohne alt zu sein?

Der momentan vorherrschende gesellschaftliche Trend zeigt sich von einer geradezu paradoxen Launigkeit: Alt werden wollen alle, Alt sein hingegen keiner! Wie soll denn das gehen? Wir setzten all unseren Fortschritt dafür ein, unser Leben zu verlängern. Aber mit der resultierenden, zunehmenden Anzahl an Alten wissen wir (noch) nicht wirklich etwas anzufangen. Vielmehr werden die Alten sogar als belastend empfunden, vor allem im aktuellen sozialpolitischen Kontext. Anstatt dass sich die Gesellschaft auf einen wachsenden Anteil alter Menschen einstellt und passende Lebens- und Wohnformen schafft, hängt sie lieber einem Jugendkult nach. Altsein beziehungsweise das Alter existiert in diesem Konstrukt nicht, nicht einmal für die Direktbetroffenen.

Verlorene Arbeitslosenunterstützung

Im sozial- und wirtschaftspolitischen Kontext ist zudem ein stetiger Anstieg der Altersarbeitslosigkeit zu verzeichnen. Die offizielle Statistik des Seco ist mit Vorsicht zu geniessen. Viele ältere Erwerbslose tauchen dort gar nicht mehr auf, weil sie entweder in der für die Erhebung relevanten Referenzwoche weniger als eine Wochenstunde Lohnarbeit geleistet haben, oder weil sie bereits freiwillig ausgesteuert sind (nach Auslaufen des Arbeitslosengeldes). Und jeden Monat verlieren circa 800 ältere Erwerbslose ihren Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung.

Erschwerter Wiedereintritt in Arbeitsmarkt

Bereits erschwert ist die Stellensuche ab Mitte 40, offiziell ist sie ab 50 schwierig. Die Chance auf einen Wiedereintritt in den Arbeitsmarkt ist dann extrem gering. Auch wenn die Schweiz gemäss der OECD-Studie «Alterung und Beschäftigungspolitik» im internationalen Durchschnitt eine Beschäftigungsquote der 55- bis 64-Jährigen unter den fünf besten aller OECD-Länder aufweist. In der Altersgruppe von 50 bis 64 Jahren ist der Anteil an Sozialhilfeempfängern zwischen 2004 bis 2012 von 13 auf 16 Prozent gestiegen.

Kein Handlungsbedarf

Wie stellt sich diese Situation nun aus unternehmerischer Sicht in der Praxis dar? Grundsätzlich sehen die Arbeitgeber für sich (dasselbe gilt auch für den Schweizer Arbeitgeberverband) keinen akuten Handlungsbedarf. Dies findet sich bestätigt durch eben die hohe Beschäftigungsquote, den Rückgang von Frühpensionierungen bei Männern und eine Veröffentlichung des Seco, laut welcher nur zwei Prozent der 55- bis 64-Jährigen für sich keine Arbeitsmarktchancen mehr sehen.

Widerlegte Argumente

Häufig werden, als Argument für jüngere beziehungsweise gegen ältere Erwerbstätige, die höheren Kosten genannt. Genauer: Ein durchschnittlich höheres Lohnniveau (gemäss Anciennitätsprinzip) sowie höhere Kosten bei der beruflichen Vorsorge (BVG). Beides lässt sich statistisch nur schwer belegen. Die höchsten Lohnzuwachsraten sind in den ersten zehn bis fünfzehn Jahren einer Erwerbstätigkeit zu verzeichnen, deutliche Lohnzuwachsraten danach oft nur noch bei Akademikern. Neben den im Alter steigenden Beitragsätzen zur beruflichen Vorsorge zeigen sich Unternehmen beim zusätzlich möglichen freiwilligen Arbeitgeberanteil gerade in den letzten Jahren deutlich weniger grosszügig.

Netzwerke älterer Arbeitnehmer

Es gibt bereits einige Beispiele, wie es mit den Alten im Erwerbsleben funktionieren kann. Viel genannte Vorzeigeprojekte wie der ABB-Beraterpool Consenec für über sechzigjährige Experten oder das «Netzwerk 50+» der Credit Suisse zeigen als praktikable «Referenzmodelle», wie es gehen kann.

Von Herausforderungen und Lösungsansätzen

Es gibt die Alten, in zunehmendem Masse, und wir müssen uns auf sie einstellen – ob wir wollen oder nicht. Die Herausforderungen sind mittlerweile hinlänglich bekannt und diskutiert worden – aber auch zahlreiche Lösungsansätze liegen bereits vor. Das Altern muss selbstverständlich werden. Jungsein und Jungbleiben dürfen keine Lebensziele oder gar gesellschaftliche Ziele sein. Vielleicht helfen Leitbilder, ganz sicher aber helfen Rahmenbedingungen, die den Herausforderungen des Alterns gerecht werden. Ich freue mich aufs Altern. Es hat bereits begonnen.

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