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Nacht des Monats mit Markus Brenner

Nacht des Monats mit Markus Brenner
«Game Over», von Markus Brenner.

Markus Brenner nimmt ein sportliches Exemplar und hält es gegen das Licht eines Halogenstrahlers. «Welche Körbchengrösse hat denn Ihre Frau?», fragt die aufmerksame Dame in der Bademodeabteilung eines grossen Zürcher Kaufhauses. Markus studiert das Muster des Badeanzugs, dann huscht ein Grinsen über sein Gesicht. Und als er den Kunststofffetzen wieder auf die Stange hängt, sagt er: «Spielt keine Rolle, der ist für einen Fisch.»

Um nicht als Bademodefetischist abgetan zu werden, führt Markus stets Postkarten mit sich, die das bestätigen. Die Dame betrachtet einige davon, schüttelt mit dem Kopf, winkt ab und geht. Ich glaube: Die einen nennen sich selbst «Künstler», den anderen passiert es einfach. Wie ein Unfall. Diese letzteren sind mir spontan sympathischer, ich weiss nicht genau, wieso. Und: Markus ist wohl eher so ein Unfall. Er hat sich lange nicht Künstler genannt. Bis ihn die Zeitungen zu einem machten. Das ist er nun schon seit Jahrzehnten sehr erfolgreich, erst vornehmlich in der Video- und Filmkunst, dann auch darüber hinaus. Seinen bisher dicksten Fisch zog er vor zwölf Jahren an Land: eine Forelle. Im Badeanzug. Wirklich. Markus Brenner lässt seither in Konstanz Badeanzüge schneidern – für Forellen aus dem Bodensee. Dann photographiert er seine Models, in ihrer Abendgarderobe.

Was ist das nun? Kunst, sagen die Zeitungen und Galerien. Aber ist das auch Kritik? Konsumkritik? Umwelt- oder Tierschutz, anyone? Mit Essen spielt man nicht? «Wissen Sie – so habe ich die Tiere schon lange nicht mehr gesehen», meint Berufsfischer Adrian Gerny in wasserdichter Latzhose und hält inne. Die Stirn in Falten schaut er auf den Schwarm perfekt ausgeleuchteter Fische, die in Designerbadeanzügen posieren und zwischen Markus und ihm auf dem Stehtisch liegen. Forellen in Neopren, mit Slogans auf dem Anzug, mit Länderfähnchen, mit Markennamen. Seit 14 Stunden ist Gerny auf den Beinen und auf dem See – und nun so was. «Schon schräg», meint Gerny. «Ich meine: so ein Fisch als Individuum… normalerweise greife ich diese Tiere, ziehe sie aus dem Netz, breche ihnen mit einem Schlag über die Bordwand das Genick. Aber diese hier – die sind ja einzelne. Sie sehen gar nicht mehr aus wie Nahrungsmittel – aber das müssen sie für mich ja sein, Nahrungsmittel.»

«Die einen kaufen meine Fische, weil sie die Idee witzig finden. Andere, weil sie darin etwas lesen.» Wütende Brandbriefe hat Markus für sein nun seit 12 Jahren laufendes Projekt «Fische im Badeanzug» auch schon erhalten. Während die einen mehrere tausend Franken für ein Portrait bezahlen, warfen ihm andere Tierquälerei vor. «Dabei mache ich ja nichts anderes als die: ich bestelle gute Forellen beim Bodenseefischer. Bevor ich sie aber mir und meinen Gästen auftische, ziehe ich ihnen noch was Gutes an.» Aus dem Nahrungsmittel wird ein Individuum. Ein vermeintlich uniformes Schwarmtier wird zum Individualisten. Und natürlich seien die Fische nicht mehr lebendig, wenn er sie einkleide und photographiere, sagt Markus. Eine politische Agenda verfolge er ebenfalls nicht, obschon er natürlich die Forelle als Indikator für gute Wasserqualität bewusst gewählt habe. «Nichts könnte unserer gechlorten Badekultur ferner sein als diese Tiere.»

Bald darauf hat Markus Fische in Form von Knusperli auch zwischen den Zähnen. Und wir finden, Adrian Gerny, der Berufsfischer vom Zürichsee, der mit dem neuen Sinn fürs Forellenindividuum, hat ganze Arbeit geleistet. Am Nebentisch sitzen gut gebräunte, gebaute und gelaunte Menschen, die plötzlich hellsichtig werden, als sie einen von Markus’ Fischen entdecken. Plötzlich bricht Trubel aus im Restaurant, die Damen und Herren stellen sich als Schweizer Belegschaft eines grossen Badebekleidungsherstellers vor – und jeder möchte einen solchen Fisch haben. Und dann versprechen sie Markus, direkt nächste Woche die neue Kollektion nach Konstanz zu schicken.

Als uns das Wassertaxi von «Fischers Fritz» in Wollishofen (hier meinen herzlichen Dank für die Extraschicht!) zu später Stunde wieder am Bellevue absetzt, zerrt Markus noch etwas aus seinem Rucksack. «Auch Journalisten müssen mal Urlaub machen!», sagt er. «Urlaub mit den Fischen!» Sprach’s und drückt mir einen Neopren-Shorty in die Hand. Kunst sollte unter die Haut gehen, denke ich. Da kann eine zweite aus Kunststoff auch nicht schaden.

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