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Mut ist gefragt

Beim Bankgeheimnis geht es nicht primär
um eine Geschäftsstrategie, sondern um freiheit-liche Grundsätze der politischen Moderne.

Der US-amerikanische Autor, Abolitionist und Pazifist

Henry David Thoreau schreibt in «Civil Disobedience»: «Wenn tausend Leute dieses Jahr keine Steuern zahlen würden, wäre das keine gewalttätige und blutige Massnahme, wie es sie wäre, wenn sie ihre Steuern zahlen und damit dem Staat ermöglichen würden, Gewalt auszuüben und unschuldiges Blut zu vergiessen.» Die Schrift erschien 1849, kurz nach dem Mexikanisch-Amerikanischen Krieg und zur Zeit der Sklaverei in den US-Südstaaten. Man darf annehmen, dass Thoreau heute zu jener Minderheit gehören würde, die das Bankkundengeheimnis verteidigt – nicht aufgrund wirtschaftlicher Überlegungen, sondern wegen dessen politischer Bedeutung.

Nach der von der Finanzmarktaufsicht verfügten Herausgabe von UBS-Kundendaten an die Vereinigten Staaten und dem bundesrätlichen Vorpreschen bzw. Einknicken gegenüber dem Rest der westlichen Welt steht das Bankgeheimnis wieder einmal im Zentrum der politischen Diskussion in der Schweiz. Gegner und Befürworter sind sich vor allem darin uneins, wie stark die vollständige Abschaffung des Bankgeheimnisses und – was davon zu unterscheiden ist – wie weit die weitere Aufweichung der Unterscheidung zwischen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung dem Finanzplatz Schweiz schaden würde. In den Debatten wird aber allzuoft vergessen, dass es bei der Abschaffung oder Beibehaltung des Bankgeheimnisses eigentlich nicht um wirtschaftlichen Pragmatismus geht, sondern um etwas viel Grundsätzlicheres: um den Primat der Bürger vor dem Staat und den Vorrang des Individuums vor der Mehrheit.

Es ist dies der Grundsatz, auf dem die ganze politische Moderne aufbaut. Die Bürger leben nicht für den Staat, sie stehen nicht etwa in einem Feudalverhältnis zu ihren Herrschern, sie sind nicht primär Steuerzahler, sondern freie Menschen. Als freie Menschen haben sie ein Recht auf Leben, Eigentum und Privatsphäre.

Das bedeutet zugleich, dass die Bürgerinnen und Bürger stets auf der Hut sein müssen, wenn der Staat sich anschickt, diese grundlegenden Rechte zu verletzen. Solche Versuche waren in der Vergangenheit leider zu oft erfolgreich und sind es auch heute noch. Man denke nur an Angriffskriege, denen unschuldige Zivilsten zu Opfer fallen, oder an autoritäre Regimes, die ohne Rücksicht auf Freiheitsrechte Jagd auf ethnische, sexuelle oder religiöse Minderheiten machen.

Angesichts dessen und mit Thoreaus Zitat im Hinterkopf ist es einigermassen beruhigend zu wissen (bzw. beunruhigend anzunehmen), dass es in der Schweiz noch ein Bankgeheimnis gibt (bzw. bald nicht mehr geben wird, wenn die Schweiz weiter auf «Pragmatismus» setzt). Denn es erfüllt drei essentielle Funktionen, an denen sich expansive Staaten stören: es schützt die Privatsphäre in- und ausländischer Kunden; es dient als Korrektiv für die einheimische Politik, indem es dieser im Vergleich zu anderen Ländern die Steuer-eintreibung erschwert und damit auf jene einen grösseren Druck ausübt, ungerechte Staatshandlungen zu unterlassen; und es erlaubt schliesslich Opfern von Ungerechtigkeiten weltweit, ihr Vermögen in Sicherheit zu bringen.

Vor diesem Hintergrund muss als verpasste Chance beurteilt werden, dass die Befürworter des Bankgeheimnisses meist nur den Standortvorteil für die Schweizer Banken hervorheben und – noch schlimmer – gar leichtsinnig mit dem Bankgeheimnis umgegangen sind. Es müsste sich vielmehr darum handeln, die politisch zentrale Rolle hervorzuheben, die das Bankgeheimnis in einer freien Gesellschaft spielt. Konsequenterweise sollte die Schweiz andere Länder dazu animieren, selber ein Bankgeheimnis einzuführen. Ein Standortvorteil für die Schweizer Banken fiele damit zwar weg, den Freiheitsrechten wäre aber um so mehr geholfen.

Sollte aber auch in der Schweiz das Bankgeheimnis gänzlich fallen, verlören die Bankkunden ein Stück ihrer Privatsphäre, die Schweizerinnen und Schweizer ein politisches Druckmittel und Unterdrückte weltweit einen finanziellen Zufluchtsort.

Thoreau verbrachte eine Nacht im Gefängnis, als er aus Protest gegen die Sklaverei und den Mexikanisch-Amerikanischen Krieg sich weigerte, die Kopfsteuer zu zahlen. Die von Thoreaus Schriften und Taten inspirierten Aktivisten Mahatma Gandhi und Martin Luther King mussten in ihrem friedlichen Kampf für Freiheitsrechte weitaus mehr erleiden. Das Bankgeheimnis kann einen Beitrag dazu leisten, dass es nicht soweit kommt. Zu seiner Verteidigung reicht freilich der wiederholte Verweis auf die Bedeutung des Finanzplatzes Schweiz nicht aus. Im Gegenteil – diese Argumentation erweist sich nun als kontraproduktiv. Es braucht vielmehr den Mut und die Zuversicht derer, die im Bewusstsein handeln, sich für ein wichtiges politisches Anliegen zu engagieren.

Matthias Jenny, geboren 1987, studiert Philosophie, Volkswirtschaftslehre und Soziologie an der Universität Zürich und ist assoziierter Forscher des Liberalen Instituts.

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