Wir brauchen Ihre Unterstützung — Jetzt Mitglied werden! Weitere Infos

Lass mich selbst vorsorgen!

Ketzerische Gedanken zu Eigenverantwortung und Wettbewerb im Interesse höherer Renten

Das Obligatorium für die zweite Säule geht auf eine Volksabstimmung im Jahre 1972 zurück. Ausgearbeitet wurde das Berufsvorsorgegesetz (BVG) jedoch erst 1984, am 1. Januar 1985 trat es in Kraft. Die mittleren 1980er Jahre waren von Optimismus geprägt. Man hatte inflationistische Zeiten heil überstanden, die Bevölkerung wuchs, die Wirtschaftsleistung legte zu, der Glaube an die Machbarkeit des Staates war schier grenzenlos. Vor der Einführung des BVG waren es die Unternehmer, die durch firmeneigene Pensionskassen und patronale Wohlfahrtsfonds für ihre Mitarbeiter aus eigenem Verantwortungsgefühl vorgesorgt hatten.

Das Obligatorium gilt heute als sozialpolitische Errungenschaft. Aber ist es dies tatsächlich? Ich stelle mir mittlerweile die ketzerische Frage, ob die Einführung des staatlichen Obligatoriums nicht zum Nachteil aller gereichte, frei nach dem alten Prinzip: «Wenn alle zuständig sind, ist niemand mehr verantwortlich.»

Die Pensionskassenverwalter werden heute durch einen Stiftungsrat gewählt, der wiederum zur Hälfte von den Arbeitnehmern und zur Hälfte vom Arbeitgeber gewählt wird. Die angestellten Verwalter orientieren sich naturgemäss vorab an den staatlichen Vorschriften – und nicht am Ergebnis zugunsten ihrer Pensionskassenbegünstigten. Für die staatlichen Vorschriften wären eigentlich der Bundesrat und das Parlament zuständig. Im tausendseitigen BVG-Gestrüpp müssen sich diese jedoch weitgehend auf begleitende Fachkommissionen verlassen. Diese beratenden Fachleute in den Kommissionen kommen meist aus grossen Versicherungen oder aus Pensionskassenberatungsfirmen. Sie haben also keine Linienverantwortung für das Ergebnis; deshalb verteidigen sie verständlicherweise vor allem das Interesse ihrer Brötchengeber. Hier beisst sich die Schlange in den Schwanz, und so entwickelt die Tendenz, dass der Grad an Unübersichtlichkeit und Kompliziertheit der Betriebsvorsorgegesetze weiter erhöht wird, eine Eigendynamik, die den Verwaltern mehr gewünschte Arbeit beschert und den Pensionskassenbegünstigten vor allem mehr Kosten aufbürdet.

Schützt euch vor den Beschützern!

Die gutgemeinte Gesetzesflut führt nicht nur zu Intransparenz und falschen Anreizen im heutigen Pensionskassensystem. Die Bevormundungsorgie verhindert zugleich eine Anpassung an veränderte Zeiten und Bedingungen. Im Unterschied zu den Gründungsjahren haben wir heute kaum noch eigenes Bevölkerungswachstum, die Leute werden älter, Obligationen werfen keine hohen (wenn auch inflationsgeschwängerten) Zinsen mehr ab, und das Wirtschaftswachstum wird noch lange unter dem überbewerteten Schweizer Franken leiden. Angesichts solcher Veränderungen wäre eine Reihe der Vorschriften reformbedürftig. Wie soll möglich sein, dass der Umwandlungssatz für reine BVG-Kassen im obligatorischen Bereich (Löhne unter 83 520 Franken) bei 6,9 Prozent bleibt, wenn wir durchschnittlich 4 Jahre länger leben als im BVG-Startjahr 1985? Oder anders formuliert: die derzeitigen Rentenzahlungen sind bei vielen Pensionskassen nicht ausfinanziert.

Als Lösung schlägt ein Mitglied der bundesrätlichen BVG-Kommission eine sogenannt «sozialverträgliche» Poollösung vor. Alle Versicherten müssten bloss 0,6 Prozent Lohnanteil in einen Pool einbezahlen, aus dem dann die in krasser Unterdeckung befindlichen Pensionskassen mit schlechter Altersstruktur Geld bekämen. Was auf den ersten Blick als kleine, allenfalls sogar vernünftige Korrektur erscheint, ist in Wahrheit das genaue Gegenteil: Unseriöses Rechnen wird belohnt, eine seriöse Ausfinanzierung bestraft. Die Konsequenz liegt auf der Hand: Die Pensionskassen setzen noch mehr auf Unterdeckung und hoffen auf die nächste Poollösung. Kurz, der Vorschlag ist ein Musterbeispiel dafür, wie schlechte Gesetze immer neue gebären. Die Intransparenz wächst, die Begünstigten verlieren vollends die Übersicht – so dass bald kein Inhaber eines BVG-Guthabens noch weiss, was eigentlich mit seinem Geld passiert.

Die rigiden staatlichen Anlagevorschriften für die Pensionskassengelder sind ebenfalls kontraproduktiv. Um ein Beispiel herauszugreifen: die Vorgabe, wonach Pensionskassen mindestens 70 Prozent im seit Monaten überbewerteten Schweizer Franken halten müssen, ist viel zu starr. Die CHF-Obligationen erlauben mit einem Zins zwischen null und einem Prozent nicht, den neuen Minimalzins von 1,5 Prozent zu erwirtschaften. Der Spielraum für renditeträchtigere, aber entsprechend schwankungsreichere Anlagen wäre in den Anlagerichtlinien zwar vorhanden, wird aber von den Pensionskassenverwaltern aus Angst vor dem Abweichen gegenüber der grossen Herde indexorientierter Versicherungen und modellgläubiger PK-Berater nicht ausgenützt. Solches Handeln der Pensionskassenbeamten trifft ältere und jüngere Begünstigte gleichermassen, obwohl jüngere sicher längerfristig und damit renditenträchtiger anlegen könnten, wenn sie eigenverantwortlich entscheiden dürften.

Wie bringt man Entscheid und Haftung zusammen?

Im europäischen Raum finden wir nur in Schweden das Beispiel für ein wirklich auf Eigenverantwortung basierendes Vorsorgesystem. Schweden war anfangs der 1990er Jahre fast so überschuldet wie heute Griechenland. Es setzte bei der Vorsorge allein auf das Umlageverfahren, wie wir es von der AHV kennen. Die Schweiz hingegen ist stolz auf ihr Dreisäulensystem, mit erster (Umlageverfahren), zweiter (Kapitaldeckungsverfahren) und dritter Säule (privates Sparen). Sie hat auch guten Grund, stolz darauf zu sein, allerdings ist die Alpenrepublik seit 1985 in der Entwicklung stehengeblieben. Die helvetische Politik hält nicht nur an illusionären Vorgaben und alten Vorschriften fest, sondern hat es auch versäumt, die Eigenverantwortung der Pensionskassenbegünstigten zu stärken. Der einzelne kann weder die Pensionskasse selber wählen noch kann er Einfluss auf die Anlagestrategie seines Geldes nehmen. Schweden hingegen überlässt seit der Basisreform des Vorsorgegesetzes in den 1990er Jahren den Begünstigten die freie Wahl unter rund 400 Pensionskassen. So können Junge eine andere Anlagestrategie wählen als Ältere, die unmittelbar vor der Pensionierung gut daran tun, vorsichtig zu agieren. Einem jungen Menschen in Anbetracht einer absehbaren Inflationsgefahr die gleiche Anlagestrategie aufzuoktroyieren wie einer älteren Person, grenzt an Enteignung – das Kapital, das ihm zusteht, wird willkürlich und ohne seine Einwilligung dezimiert.

Diese Frage bekommt in dem Moment eine gesellschaftliche Dimension, in dem man erfährt, dass aufgrund der Berufsvorsorgegesetze eine der grössten Schweizer Versicherungen vom ganzen Anlagetopf beispielsweise nur 1,8 Prozent in den derzeit unterbewerteten Aktien hält. Oder wenn man aus glaubhaften Quellen liest, dass Versicherungskassen zur Quersubventionierung des unnatürlichen Umwandlungssatzes überhöhte Versicherungsprämien zu Lasten des Sparteils abziehen.

Transparenz durch Wettbewerb

Mit mehr Wettbewerb, d.h. freier Pensionskassenwahl, wäre darüber hinaus das in den Medien besonders gern thematisierte Thema hoher Kosten erledigt. Wenn echter Wettbewerb spielt, verlieren die kostspieligen Berater, die im Berufsvorsorgegesetzesdschungel als einzige noch den Überblick haben, an Einfluss; stattdessen rückt das für jeden Begünstigten weit entscheidendere Anlageergebnis in den Fokus. Das würde zu einer höheren Zufriedenheit aller führen, denn wer selber entscheiden kann, ist auch mit dem Ergebnis eher im Einklang.

Dass dem tatsächlich so ist, beweist ausgerechnet ein südamerikanisches Land. Chile hat für die obligatorische Kranken- und Altersvorsorge die wohl bisher beste Mischung aus Solidarität und Eigenverantwortung gefunden. Jeder kann frei unter verschiedenen staatlich konzessionierten Kranken- und Vorsorgekassen wählen. Nur ein Teil des einbezahlten Vermögens wird als Versicherungsbeitrag für von Krankheit mehr Betroffene und/oder länger Lebende verwendet; der ganze Rest gehört dem Begünstigten, der das verbleibende Kapital sogar an seine Nachkommen vererben darf. Es war mitunter die Reform des Sozialsystems, die Chile dabei half, seine Staatsverschuldung zu reduzieren – Chile ist heute der am wenigsten verschuldete Staat in Südamerika, während sich zuvor in Zeiten der Diktatur Armut und Elend verbreiteten.

Auch Schweden wurde vom übersozialisierten Schuldenstaat zum Musterland in der EU. Der Entscheid, die Verantwortung den Pensionskassenbegünstigten zurückzugeben, führte dazu, dass sich statt 10 bis 20 Prozent Vermögende plötzlich 70 Prozent als selbstverantwortliche Eigentümer fühlten. Entscheid und Haftung gehören auch beim Pensionskassenguthaben zusammen.

»
Abonnieren Sie unsere
kostenlosen Newsletter!