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Elitäre Netzwerke

Eine Doktorarbeit über die Nähe von Medienschaffenden zu den Mächtigen löste unter führenden Journalisten heftige Abwehr aus. Das sagt viel über deren Selbstbild.

Elitäre Netzwerke
Uwe Krüger, photographiert von Bernd Roeder.

Der Chefredakteur der «Bild»-Zeitung als Vorstandsmitglied der Atlantik-Brücke, eines Vereins für deutsch-amerikanische Freundschaft. Der Aussenpolitik-Ressortleiter der «Süddeutschen Zeitung» als Präsidiumsmitglied der Deutschen Atlantischen Gesellschaft, einer Lobbyorganisation für die Nato. Der Aussenpolitik-Chef der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» als Beiratsmitglied der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, eines Think Tank des deutschen Verteidigungsministeriums. Der Chefkorrespondent der «Welt» als Mitglied des European Council on Foreign Relations, eines paneuropäischen Think Tank. Der Vizechefredakteur der «Zeit» als Mitglied im Lenkungsausschuss der Bilderberg-Meetings, einer vertraulichen jährlichen Konferenz von Spitzenpolitikern, Konzernchefs und Bankiers aus Nordamerika und Westeuropa.

Es waren Verbindungen wie diese, auf die ich vor etwa zehn Jahren stiess und die mich stutzig bis wütend machten. Ich hatte vor kurzem meine journalistische Ausbildung abgeschlossen und war voller Ideale. Kritik und Kontrolle ausüben, Distanz zu den Mächtigen halten, «sich nicht gemein machen, auch nicht mit einer guten Sache» und «immer dabei sein – nie dazugehören»: Merksätze des ehemaligen ARD-«Tagesthemen»-Moderators Hanns-Joachim Friedrichs, die seine Zunft offenbar nicht recht beherzigen wollte. Ich arbeitete als Medienjournalist bei einem anspruchsvollen Journalismus-Fachmagazin namens «Message» und parallel an meiner Dissertation, beides unter der Ägide des angesehenen Leipziger Journalistikprofessors Michael Haller, eines kritisch-normativ denkenden Medienethikers und ehemaligen Redaktors von «Spiegel» und «Zeit».

Ich begann, systematisch nach Verbindungen von hochrangigen deutschen Journalisten zu Eliten aus Politik und Wirtschaft zu suchen: Wo sind sie zusammen in Vereinen, Stiftungen, Think Tanks oder Policy Discussion Groups? Ich fand immer mehr solcher Treffpunkte: die Jahreskonferenz des Weltwirtschaftsforums in Davos und die Münchner Sicherheitskonferenz, auf denen Journalisten nicht als Berichterstatter, sondern als gleichberechtigte Teilnehmer eingeladen waren; die American Academy in Berlin, der American Council on Germany und das Aspen Institute. Dazu eine Reihe von Organisationen mit sozialem oder kulturellem Zweck und ein bunter Strauss an Hintergrundkreisen und Presseclubs: am Ende waren es 82 Organisationen mit hochrangigen Personen aus Politik und Wirtschaft, in denen ich 64 leitende Redakteure deutscher Leitmedien fand. Einige Journalisten tauchten an mehreren, manche an vielen Orten auf.

War das ein Skandal? Das hing vor allem von der Frage ab, ob diese Netzwerke einen Einfluss auf die Berichterstattung hatten. Ich überprüfte diese Frage, indem ich die Artikel von vier hochrangigen Aussenpolitik-Journalisten analysierte, die besonders eng im transatlantisch geprägten aussen- und sicherheitspolitischen Elitenmilieu vernetzt waren. Als Prüfstein suchte ich mir ein Themenfeld aus, in dem es in Deutschland eine Kluft zwischen Elite und Bevölkerung gab: die Auslandseinsätze der Bundeswehr v.a. in Afghanistan, die die Deutschen mehrheitlich kritisch sahen, aber vom Bundestag immer wieder abgesegnet wurden, und damit zusammenhängend die Definition der Begriffe Sicherheit und Verteidigung. Diese Begriffe waren nämlich seit Anfang der 1990er Jahre im politischen Diskurs ausgeweitet worden: man verteidigte nicht mehr nur klassisch sein Territorium, wenn es angegriffen wurde, man wollte jetzt seine Interessen verteidigen, und zwar weltweit – eben dort, wo Bedrohungen dieser Interessen entstanden.

Das Ergebnis der Inhaltsanalyse war eindeutig: Die Journalisten waren nicht auf der Seite der mehrheitlich militärskeptischen Bevölkerung, sondern verwendeten in ihren Kommentaren den erweiterten Sicherheitsbegriff, erinnerten häufig an eine ganze Reihe von Bedrohungen, wie sie auch in regierungsamtlichen Dokumenten und Doktrinen standen, mahnten die deutsche Regierung zur Pflege der Partnerschaft mit den USA und zu mehr militärischem Engagement in der Nato – und, weil das eher unpopulär ist, auch zu verstärkter Überzeugungsarbeit am Wahlvolk. Zwar war damit nicht gesagt, dass diese Haltung kausal auf den Einfluss transatlantischer Eliten zurückzuführen war; möglicherweise war es genau anders herum, und die Journalisten waren nur deshalb in diese höheren Kreise eingeladen worden, weil sie bereits vorher ähnliche Werte und Einstellungen vertreten hatten. Aber dass sich wichtige aussenpolitische Journalisten in diesen Fragen näher an der Haltung der Eliten als an der der Bevölkerung verorteten, war schon eine interessante Erkenntnis. Bevor sie als Buch veröffentlicht wurde, konfrontierte ich die vier Journalisten per Mail mit dem Ergebnis und bat sie, ihre Sicht der Dinge zur Veröffentlichung aufzuschreiben. Alle vier lehnten ab.

Im Februar 2013 erschien die Dissertation als Buch.1 Ein Interview im Onlinemagazin «Telepolis» des Heise-Verlags brachte dem Buch einige Aufmerksamkeit und mir eine Reihe von Vortragsanfragen, Einladungen zu Podiumsdiskussionen und Interviews in öffentlich-rechtlichen Radiosendern ein (Deutschlandfunk, WDR, RBB). Bis Jahresende erschienen Rezensionen in vier Tageszeitungen: der grün-alternativen «taz», der marxistischen «Jungen Welt» und sogar in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» und der «Süddeutschen Zeitung». Die letzten beiden durchaus wohlwollend und sichtlich nicht von Vorgaben aus der Politikredaktion gelenkt. Auch in der Schweiz interessierte man sich für das Thema, obwohl eidgenössische Journalisten nicht Teil der Untersuchung waren: Auf «Medienwoche.ch» erschien ein ausführlicher Bericht des heutigen «Schweizer Monat»-Redaktors Ronnie Grob, kurz darauf kürte SRF 2 Kultur das Buch in der Sendung «Kontext – das Sachbuchtrio» zum Sachbuch des Monats. Und nachdem es einen Konflikt über die Qualität der Dissertation zwischen dem renommierten Münchner Kommunikationswissenschafter Christoph Neuberger und meinem Doktorvater und mir gegeben hatte, war der «Neuen Zürcher Zeitung» das Thema eine ganze Medienseite mit Titelanriss wert.2

Journalisten klagen gegen Satiriker

Und die kritisierten Journalisten? Sie hielten sich zunächst weitgehend bedeckt. Gegenüber der «taz» wiesen zwei von ihnen, Stefan Kornelius von der «Süddeutschen Zeitung» und Josef Joffe von der «Zeit», die Arbeit in knappen Worten als «unseriös» zurück und erklärten, sie würden sich nicht vereinnahmen lassen, sondern lediglich Kontakte suchen, sich eine eigene Meinung bilden und Gewichtungen vornehmen.3 Das hat damals, im April 2013, noch kaum jemand wahrgenommen. Es sollte noch ein Jahr dauern, bis es richtig knallte.

Dass es knallte, hatte mit den Entwicklungen in der Ukraine zu tun. Der Euromaidan fegte im Februar 2014 das kleptokratische Regime von Wiktor Janukowytsch hinweg und brachte der ehemaligen Sowjetrepublik eine prowestliche Regierung (deren Protagonisten zuvor von westlichen Politikern offensiv unterstützt worden waren); als Reaktion annektierte Russland darauf die Krim. Die Berichterstattung über diese Krise brachte viele deutsche Mediennutzer auf die Palme – zu westzentrisch, zu antirussisch, zu parteiisch sei sie, hiess es in Tausenden Leserbriefen, Onlinekommentaren und Social-Media-Posts. In dieser Atmosphäre schlug eine Ausgabe der ZDF-Satiresendung «Die Anstalt» im April 2014 ein wie eine Bombe. Die Kabarettisten Claus von Wagner und Max Uthoff diskutieren über die Ukraine-Berichterstattung und deren blinde Flecken, dann fährt Claus von Wagner eine Schautafel ins Bild und erklärt dem zweifelnden und erstaunten Max Uthoff, welche deutschen Leitmedien mit welchen transatlantischen Lobbyorganisationen verbandelt sind. Uthoff ist schliesslich überzeugt und fasst zusammen: «Aber dann sind ja alle diese Zeitungen nur so etwas wie die Lokalausgaben der Nato-Pressestelle!» Von Wagner entgegnet: «Das haben jetzt Sie gesagt. Aber Sie haben es schön gesagt.»4

Touché. Im Abendprogramm des ZDF schauten über zwei Millionen Menschen zu, anschliessend ging der Clip viral durch die sozialen Netzwerke. Betroffene Zeitungen erhielten Protest- und Abbestellungsschreiben. In der eigentlich liberalen Hamburger «Zeit»-Redaktion stieg der Blutdruck zweier Protagonisten derart, dass sie juristisches Geschütz auffuhren und das Video per Gerichtsbeschluss aus der ZDF-Mediathek entfernen liessen. Der eine war Mitherausgeber Josef Joffe, der notabene die meisten einschlägigen Verbindungen aufwies und ordentlich durch den Kakao gezogen worden war. Er machte geltend, dass ihm durch «herabsetzende Unterstellungen» die «journalistische Integrität abgesprochen» worden sei und dass er nur (noch) in zwei Organisationen involviert war und nicht (mehr) in acht, wie auf der Schautafel in der Sendung zu lesen war – auf der Website der Stanford University ging Joffe allerdings mit weit mehr hausieren5. Der zweite war Politikredaktor Jochen Bittner, ein Nachwuchsstar des Blattes und nebenbei Kolumnist der «New York Times». Er war zu satirischen Ehren gekommen, weil er an einer neuen, militärfreundlicheren Aussenpolitikstrategie für Deutschland mitgearbeitet hatte, Seit’ an Seit’ mit Bundestagsabgeordneten, Ministerialbeamten und Vertretern von Think Tanks, auf Einladung des German Marshall Fund of the United States und der regierungsnahen Stiftung Wissenschaft und Politik. Und nachdem der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck auf der Münchner Sicherheitskonferenz eine vielbeachtete Rede über diese neue Strategie gehalten hatte, schrieb Bittner wohlwollend über die Rede und die Entstehungsgeschichte, ohne seine Mitwirkung dabei zu erwähnen. Nun wehrte er sich unter anderem gegen eine Zuspitzung der Satiriker: «Er wird doch wohl den Anstand besessen haben, sein Schreiben für Gauck zu trennen von seinem Schreiben für die ‹Zeit›?» – «Das wär’ schön.»6

Weil das ZDF gegen die einstweilige Verfügung des Hamburger Landgerichts Widerspruch einlegte, kam es im September 2014 zur Gerichtsverhandlung – und anschliessend zu Berufung und Revision. Die kritisierten Journalisten scheuten sich nicht, öffentlich Haare zu spalten, um ihren Vorwurf der falschen Tatsachenbehauptungen aufrechterhalten zu können. Erst im Januar 2017 entschied der Bundesgerichtshof in letzter Instanz: Falsche Aussagen seien von den Satirikern nicht gemacht worden, es komme auf den Gesamteindruck an und Zuspitzungen seien erlaubt. Dass erst hochbezahlte Juristen den dünnhäutigen Journalisten das sagen mussten, ist bemerkenswert. Letztere haben sich aber eher selbst geschadet, denn im Netz haben viele Leute erst durch den Rechtsstreit überhaupt Notiz von ihren Verquickungen genommen («Streisand-Effekt»).

Der Kollege der «Süddeutschen Zeitung», Stefan Kornelius, wehrte sich auf andere Weise, nämlich mit Transparenz. Er wandte sich an das ARD-Medienmagazin «Zapp» und gab ein Interview: «Was sich da inzwischen über linke Blogs, aber auch Wikipedia verbreitet und dann seinen Weg in die ‹Anstalt› gefunden hat, entspricht in keiner Weise meinem Selbstbild und auch nicht der Art und Weise, wie aussenpolitische Berichterstattung in Deutschland funktioniert. Aussenpolitische Kontakte laufen wahnsinnig viel über diese Institutionen, die bei der ‹Anstalt› genannt wurden.» Seine Mitgliedschaft bei der Atlantik-Brücke etwa «wird von der Zeitung auch bezahlt, das heisst, es ist Teil meines Geschäfts».7 Seine Unabhängigkeit sei dadurch nicht gefährdet, er sehe sich in keiner Weise verpflichtet oder unter Druck. Seine Stimme und sein Blick verrieten dabei eine gewisse Unsicherheit und Verwirrung darüber, woher diese Debatte überhaupt kommt und was an seiner Arbeitsweise jetzt auf einmal so schlimm sein sollte.

Unverständnis, Abwehr, Verdrängung

Unverständnis, Abwehr und Verdrängung: das schienen mir die gängigen Reaktionen in der Medienbranche auf die Kritik zu sein, die hier aus der Zivilgesellschaft, quasi «von unten», kam. Es gab einige Versuche, Gespräche zwischen betreffenden Journalisten und mir zu organisieren: als Podiumsgespräch auf einer Tagung der Journalistenorganisation Netzwerk Recherche, als Streitgespräch in der «Zeit». Dass daraus nichts geworden ist, lag nicht an mir. Auf Podien mit anderen Journalisten erlebte ich zuweilen emotionale Überreaktionen, wenn ich grundsätzliche Kritik an Hintergrundgesprächen und informellen Kontakten zwischen Journalisten und Eliten übte – offenbar greift solche Kritik die beruflichen Routinen und das Selbstverständnis zu fundamental an.

Auch wenn es in diesem Text bisher nur um Journalisten privater Medien ging – die öffentlich-rechtlichen Sender sind keineswegs frei vom Einfluss der Politik. Nicht, dass direkt in Publikationsentscheidungen hineinregiert würde: die Mechanismen sind subtiler. Öffentlich-rechtliche Anstalten finanzieren sich aus dem Rundfunkbeitrag, dessen Höhe von den Regierungen und Parlamenten der Bundesländer festgelegt wird. Die Entscheidung, wer die höchsten Positionen der Sender besetzt, fällen jeweils Gremien wie Verwaltungsrat oder Rundfunk- bzw. Fernsehrat. In ihnen haben Parteien und ihre informellen «Freundeskreise» in den gesellschaftlich relevanten Gruppen das Sagen. Der Einfluss der Parteien ist grösser, als ein oberflächlicher Blick auf die Gremien zeigt, denn zivilgesellschaftliche Organisationen kommen oft nur auf dem «Ticket» einer Partei in einen solchen Rat.

An dieser verdeckten Dominanz der Parteien in den Kontrollgremien der öffentlich-rechtlichen Medien in Deutschland hat auch das jüngste ZDF-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, mit dem die Staatsferne gesichert werden sollte, nichts wesentlich geändert. In den Hierarchien der Sender gibt es häufig eine ausgeklügelte politische Farbenlehre, einen austarierten Proporz mit «roten» und «schwarzen» Parteigängern. Die Realität sieht dann so aus: mit der Kanzlerin führen die Sender freundliche Sommerinterviews, und in Krisenzeiten räumen sie ihr Talkshow-Sonderformate ein, in denen sie mit der Moderatorin allein ist («Anne Will»). Wenn Angela Merkel im Bundestagswahlkampf keine zwei TV-Duelle mit ihrem Herausforderer – dem bisherigen Koalitionspartner – möchte, sondern nur eins und ihr eine geplante Auflockerung des Formats nicht zusagt, droht sie einfach mit ihrem Fernbleiben. Und schon knicken die Sender ein.

Was hat die Debatte um die Netzwerke denn nun gebracht? Die Sensibilität für Transparenz ist bei den Journalisten gewachsen – und auch ich habe dazugelernt. Journalisten brauchen Kontakte und Informationen, und im aussenpolitischen Bereich sind die entsprechenden Organisationen wichtige Kontaktbörsen. Mittlerweile halte ich die Zuspitzung des Themas auf die Frage, ob durch eine Einbettung in Netzwerke die geistige Unabhängigkeit beeinträchtigt werde, für verfehlt. Sie ist auch nicht zu beantworten. Ob ein Journalist in diesem oder jenem Verein Mitglied ist oder nicht, in diesem oder jenem Vorstand oder Kuratorium mitarbeitet oder nicht, über die Themen der jeweiligen Organisation mit Offenlegung seiner Verbindung schreibt oder ohne – das mag zwar im Einzelfall nicht unwichtig sein. Aber Journalisten haben auch ohne direkte Einbindung in bestimmte Netzwerke und Organisationen ihre Haltungen, Perspektiven, Interessen und Routinen. Das eigentliche Problem liegt tiefer: nämlich im Meinungsmainstream vieler etablierter Medien, von denen sich grössere Teile der Bevölkerung entfremdet haben.

Repräsentationsdefizite

Im Kern der Debatte um das Vertrauen in die «Mainstreammedien», die «Systemmedien» oder gar die «Lügenpresse» steht ein Repräsentationsdefizit. Es geht nicht um Lügen im Sinne von absichtsvoll falschen Sachverhaltsaussagen, sondern darum, dass die Perspektiven, Frames und Deutungsmuster, die transportierten und repräsentierten Interessen im medialen Diskurs an denen vieler Menschen vorbeigehen. Es gibt Themen, bei denen es eine Kluft gibt zwischen weitgehend geeinten Führungskräften auf der einen Seite und grossen Teilen der Bevölkerung auf der anderen Seite. Grosse Medien, an deren Themensetzung und Meinungssound sich oft auch die kleineren Medien orientieren, sind dann allzu oft auf Seiten der Oberen. Für ihre Berichterstattung benötigen sie nämlich jeden Tag Quellen aus der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Elite. Und sie sind abhängig von den Werbebudgets der Konzerne. Oft gehören ihre Eigentümer selbst der wirtschaftlichen Elite an oder sie werden, wenn sie öffentlich-rechtlich organisiert sind, von Partei- und anderen Eliten im Rundfunkrat kontrolliert. Zudem sind Journalisten oft selbst Teil eines spezifischen liberal-intellektuellen Milieus, eines globalisierten, kosmopolitischen Establishments, das proeuropäisch, prokapitalistisch, prowestlich denkt. Nicht selten sind sie in ihren Haltungen und Interessen weit weg von grösseren Teilen der Normalbevölkerung.

Das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung führte 2013 eine Befragung von deutschen Führungskräften aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Verbänden, Justiz, Militär, Wissenschaft, Medien, Gewerkschaften, Kirchen und der Zivilgesellschaft durch. Darin zeigte sich, dass es einen hohen Konsens bei bestimmten Werten und Einstellungen gibt: dass Einwanderung das Zusammenleben bereichert und gut für die deutsche Wirtschaft ist; dass öffentliche Ausgaben reduziert und der Arbeitsmarkt flexibilisiert werden sollten; dass ökonomische Liberalisierung generell, der Welthandel, Wettbewerb und Privatisierung staatlicher Unternehmen gut sind und umgekehrt Zölle, Importbeschränkungen oder Subventionen zum Vorteil der heimischen Wirtschaft schlecht; und dass Homosexualität und Scheidung akzeptabel sind. Diesem wirtschaftspolitisch wie kulturell liberalen Mainstream in den «höheren Kreisen» steht eine gespaltene Bevölkerung gegenüber: Einwanderung etwa wurde zur selben Zeit in allgemeinen Umfragen nur von der Hälfte der Deutschen befürwortet.8 Dass die Eliten so liberal sind, liegt übrigens nicht nur an deren hohem Bildungsgrad, denn schaut man sich in den Bevölkerungsbefragungen nur jene Teilnehmer mit Hochschulabschluss an, so ist deren Haltung in der Einwanderungsfrage durchaus nicht so homogen.

Medienmacher müssen sich in diesem Spannungsfeld nicht als Volkspädagogen, sondern als Diskursanwälte und wirkliche Vermittler zwischen «oben» und «unten» positionieren. Wenn es im politischen System ein Repräsentationsdefizit gibt, genügt es eben nicht, die Meinungsverschiedenheiten zwischen den etablierten Parteien in der Berichterstattung zu spiegeln. Dann muss Basisarbeit gemacht und das Meinungsbild und die Interessenlage der einfachen Leute selbst erhoben werden. Das heisst nun wiederum nicht, dass etwa in der Einwanderungs- und Flüchtlingsfrage Journalisten Rassismus und Menschenverachtung als normale, legitime Meinungen aufnehmen und spiegeln sollten. Vielmehr sollten sie tiefer graben und durch Recherche offenlegen, welche Wahrnehmungen, Gefühle, Bedürfnisse und Wünsche hinter solchen Einstellungen stecken – und diese wiederum ideologiefrei im Diskurs verhandeln.


1 Uwe Krüger (2013): Meinungsmacht. Der Einfluss von Eliten auf Leitmedien und Alphajournalisten – eine kritische Netzwerkanalyse. Köln: Herbert-von-Halem-Verlag.
2
Stephan Russ-Mohl: Wenn Wachhunde zahm werden. Die heikle Nähe tonan-gebender Journalisten zur Machtelite. In: Neue Zürcher Zeitung vom 24.2.2015, S. 36, https://www.nzz.ch/feuilleton/medien/die-heikle-naehe-von-leitmedien-zur-elite-1.18489317
3
Haiko Prengel: Böse Kontakte. In: taz vom 19.4.2013, S. 17, http://www.taz.de/!5069170
4
Qualitätsjournalismus. ZDF: «Die Anstalt» vom 29.4.2014, https://www.youtube.com/watch?v=SASZZBnwePM
5
https://web.archive.org/web/20100702074601/http://fce.stanford.edu/people/josefjoffe/
6
Uwe Krüger: «Journalisten als politische Lobbyisten?» Telepolis vom 2.8.2014, https://www.heise.de/tp/features/Journalisten-als-politische-Lobbyisten-3366686.html
7
Daniel Bröckerhoff: «Es ist Teil meines Geschäfts». Interview mit Stefan Kornelius (Rohversion) für «Zapp – das Medienmagazin», NDR-Fernsehen vom 14.5.2014, https://www.youtube.com/watch?v=PD2miLXE-u0
8
Céline Teney; Marc Helbling: Die Verteilung liberaler Werte. Elite und Bevölkerung in Deutschland denken unterschiedlich über Immigration. In: WZB Mitteilungen, Heft 142 (Dezember 2013), S. 12 – 15, https://www.wzb.eu/sites/default/files/publikationen/wzb_mitteilungen/s12-15teney.pdf

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