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«Die Innovation liegt in der DNA dieses Landes»
Marianne Janik, fotographiert von Philipp Baer.

«Die Innovation liegt in der DNA dieses Landes»

Die Chefin von Microsoft Schweiz weiss: gute Arbeitsbedingungen sorgen für Identifikation mit der Firma. Dafür engagieren sich noch längst nicht alle hiesigen Unternehmen. Können sie von einem Dinosaurier der IT-Branche etwas lernen?

Seit Juli 2015 ist Marianne Janik als Country Manager für die Leitung von Microsoft Schweiz zuständig. Zuvor verantwortete sie rund vier Jahre lang die Bereiche öffentliche Verwaltung, Bildung und Gesundheitswesen in der Geschäftsleitung von Microsoft Deutschland.

Frau Janik, als Deutsche in der Schweiz und als CEO eines international tätigen Unternehmens: Welche Besonderheiten weist die Schweiz im Unterschied zu anderen Ländern hinsichtlich der Digitalisierung auf?
Der Erfolg bei der Digitalisierung kommt ja oft aus der Fähigkeit, zu kooperieren und sich zu vernetzen. Die Schweiz ist hierbei gut aufgestellt: Sie funktioniert stark in Netzwerken. Die Innovation liegt in der DNA dieses Landes und vor allem auch in den KMU. Und das Thema Sicherheit ist ein Markenkern.

Welche kulturellen Besonderheiten können mit dem Wandel in Konflikt geraten?
Was es braucht, ist der Wille und die Fähigkeit, auch über die Schweiz hinauszudenken. Zu sagen: «Wir wollen neutral sein und nicht überall mitmachen, denn wir sind uns selbst genug» – das hat viel mit Identität zu tun. Es ist ein Bruch, der historisch nachvollziehbar ist, denn als von Grossen umringter Kleiner neigt man dazu, sich zu verstecken. Ich frage mich allerdings, ob die in der Schweiz typische Bescheidenheit wirklich angebracht ist.

Konkreter?
Sich nicht genügend zu zeigen und zu vermarkten, kann auch ein Fehler sein, ein falschverstandenes Understatement. Ich glaube, es braucht mehr Selbstmarketing in der heutigen Zeit.

Sie arbeiten für einen internationalen Konzern in einem Land, das sich oft in Identitätsfragen aufreibt. Ist das nicht auch mühsam manchmal?
Microsoft hat sich bewusst für eine Struktur entschieden, die auf Ländern basiert und nicht auf Kontinenten oder grösseren Regionen – eben weil wir glauben, dass nationale und kulturelle Unterschiede wichtig sind. Wir sind nun dreissig Jahre in der Schweiz und haben Mitarbeiter aus 43 Nationen. Darunter gibt es natürlich auch welche, denen die schweizerischen Eigenheiten zu Beginn etwas mühsam erscheinen und die nicht verstehen wollen, dass sie als Mitarbeiter eines internationalen Konzerns Rücksicht auf lokale Gegebenheiten nehmen müssen. Hier muss man die Kollegen heranführen und ich habe noch keinen angetroffen, der sich nicht hätte überzeugen lassen.

Blicken wir kurz gemeinsam auf die Microsoft-Geschichte zurück: Es gibt dieses berühmte Teamfoto der ersten 11 Microsoft-Mitarbeiter von 1978. In den 1990er Jahren war die Firma dann ein «Monopol», das angeblich die ganze Welt bedrohte und zerschlagen gehörte. Heute ist Microsoft ein erfolgreicher, alles andere als ausgestorbener Dinosaurier in der Branche. Gibt es trotz dieses ständigen Wandels eine eigene, Microsoft-interne Identität?
Es gab ja vor vier Jahren einen Wechsel: Satya Nadella, der selbst schon zwanzig Jahre bei Microsoft arbeitete, folgte 2014 auf Steve Ballmer und ist damit nach Bill Gates erst der dritte CEO des Unternehmens. Er hat es geschafft, die Vision aus den Anfangszeiten – also zum Beispiel «a PC in every home» – in die heutige Zeit zu bringen: Microsoft will Technologie schaffen, die dem Menschen als Unterstützung und Hilfsmittel dient, letztlich also die Demokratisierung der Technologie. Nadella hat das Portfolio umgebaut und gleicht das, was entwickelt wird, stets mit dieser Vision ab.

«Sich nicht genügend zu zeigen und zu vermarkten, kann auch ein Fehler sein, ein falschverstandenes Understatement.»

Soll man auch stolz sein, Microsoft-Mitarbeiter zu sein?
Auf jeden Fall! Wir glauben an menschliche Neugier, daran, dass man an sich arbeiten kann – und sich gegenseitig unterstützt, was auch Möglichkeiten für jene eröffnet, die beispielsweise körperlich oder geistig benachteiligt sind. Ich sehe das Unternehmen als einen Rahmen, in dem sich die Leute verwirklichen können.

Wie hat sich die Produktpalette von Microsoft Schweiz im Sinne dieser Vision verändert in den letzten vier Jahren?
Das Portfolio rund um das Thema Kollaboration wird gut aufgenommen. Dann bieten wir ab 2019 Cloud-Lösungen mit Servern in der Schweiz an. Die Wege sind kurz hier – und so kommen Firmen, Partner, Personen auch branchenübergreifend viel schneller zusammen und sind auch bereit, zusammenzuarbeiten. Wir haben deshalb früh angefangen, über Ökosysteme nachzudenken, also über die Frage, welchen Baukasten diese Systeme jeweils benötigen, denn auf diese Bedürfnisse muss man richtig, also passgenau, reagieren.

Gilt Microsoft Schweiz auch als KMU?
Ja, mit 600 Mitarbeitern sind wir auch ein KMU. Für kleinere und mittlere Unternehmen ist die Beurteilungsfähigkeit bei Tech­nologie­entscheidungen eine Herausforderung. Wir arbeiten daran, diese zu stärken, auch mit den Verbänden. Wenn es ohne neue Technologie geht, dann verweigern sich doch viele KMU, überhaupt eine Technologieentscheidung zu treffen. Ich gebe Ihnen ein gegenteiliges Beispiel: die Hiag-Gruppe begann 1876 als Familienunternehmen in der Holzindustrie und veränderte sich Anfang der 2000er Jahre zu einem Immobilien­unternehmen, heute ist sie im Facility Management tätig. Jetzt will das Unternehmen zu einem Spezialisten für Konnektivität im digitalen Zeitalter werden.

Eine erstaunliche Transformation.
Ja, es gibt diese Unternehmer, die sagen: Ich wage es, aber ich wage es nicht alleine und nehme Partner an Bord. Vor ihrem Mut muss man den Hut ziehen. In den Medien erfährt man allerdings kaum je von diesen erfolgreichen Transformationsprozessen vor der eigenen Haustür. Viele der Journalisten fliegen lieber ins Silicon Valley nach Kalifornien und schreiben über die Veränderungen dort.

Digitalisierung ist ja sehr konkret. Wenn Sie vergleichen, wie Sie 2008 gearbeitet haben und wie Sie jetzt als CEO 2018 arbeiten – was hat sich geändert?
Die Möglichkeiten, mit eigenen Mitarbeitern und mit Partnern zu kollaborieren, haben zugenommen. Heute bin ich in der Lage, einen Gruppenchat oder eine Telefonkonferenz einzuberufen oder ein Dokument aufzusetzen, an dem wir dann gemeinsam arbeiten. Sehr intensiv nutze ich die Sprachübersetzungsprogramme, die ja heute durchaus brauchbar sind. Ich spreche mit meinen Geräten, und abends, wenn ich keine Lust mehr habe, Texte zu lesen, lasse ich sie vorlesen. Ich will das zwar nicht immer wissen, aber ich verfüge auch über ein Programm, das mir sagt, wie ich gearbeitet habe.

Was teilt Ihnen dieses Programm mit?
Das nennt sich My Analytics: es sagt mir, wie viel Zeit ich mir abseits von Terminen genommen habe, wie lange meine Meetings im Schnitt sind, mit wem ich am meisten zusammenarbeite, ob ich Multitasking mache oder nicht. Diese Daten sind nur für mich bestimmt, aber ich könnte sie auch teilen.

Was haben Sie denn gemäss My Analytics letzte Woche falsch gemacht?
Ich habe viel zu viele E-Mails geschrieben ausserhalb der Kernarbeitszeit, ich war zu oft am Abend aktiv und ich hatte zu wenig Zeit für mich selbst. Wichtig ist es, sich auch mal komplett abzumelden und alle Geräte abzuschalten – und das mache ich auch. Ich versuche insgesamt, achtsamer zu sein. Denn oft sieht man als Führungskraft ja Mitarbeiter über eine längere Zeit nicht persönlich – und so steigt die Gefahr, dass man sie nicht mehr spürt und gegebenenfalls die falschen Entscheide trifft.

Sie haben als Studentin an der Migros-Kasse in Kreuzlingen gearbeitet – das ist ein Job, den es absehbar bald nicht mehr geben wird, nicht zuletzt aufgrund neuer Möglichkeiten der Vernetzung durch digitale Systeme. Wird es generell weniger Arbeit geben?
Momentan sieht es nicht danach aus: In unserem Schweizer Microsoft-Partner-Netzwerk gibt es derzeit rund 6000 Partner, die insgesamt 15 000 offene Stellen nicht besetzen können – in den letzten zwölf Monaten hat sich diese Zahl sogar noch vergrössert. Dabei handelt es sich um technisch anspruchsvolle Stellenprofile: Programmierer, Datenwissenschafter, aber auch Mitarbeiter, die sowohl Technologie als auch Prozesse verstehen. Auch ausserhalb des Netzwerks werden Datenwissenschafter händeringend gesucht – die Uni St. Gallen offeriert aber erst in diesem Herbst einen ersten Lehrgang in Data Science Fundamentals. Im Bereich Cybersicherheit könnten ebenfalls Zehntausende von Stellen sofort besetzt werden.

Auf der anderen Seite gibt es aber auch 50jährige arbeitslose Programmierer. Wenn Fachkräftemangel auf Arbeitslosigkeit trifft, dann liegt das Problem also bei der Bildung?
Richtig. Die Erkenntnis, was die Wirtschaft tatsächlich braucht, muss sich im Schulalltag abbilden, und das funktioniert nicht gut genug. Wir versuchen, uns einzubringen, indem wir Tage der offenen Tür organisieren oder mit unserem Programm Educonnect auch aktiv bei den Schulen vorbeigehen – ohne dort etwas verkaufen zu wollen.

Microsoft testet neue Arbeitsmodelle und Strukturen auch gleich selbst, habe ich gelesen. Auch in den Zürcher Teams?
Ja. Wir machen das, weil wir als Arbeitgeber attraktiv sein wollen und unterschiedlichen Charakteren die Möglichkeit bieten wollen, sich einzubringen. Seit bald zehn Jahren haben wir keine Präsenzpflicht mehr. Wir individualisieren auch die Gestaltung der Büroräume, kürzlich etwa räumten wir ein ganzes Stockwerk aus, um dort einen Co-Working-Space einzurichten. Wir wollen es unseren Mitarbeitern auch ermöglichen, mit einem Bein bei uns angestellt zu sein und mit einem anderen Bein ein eigenes Unternehmen zu betreiben. Wir experimentieren auch mit externalisierten Strukturen, also mit Mitarbeitern, die gerne parallel auch noch andere Dinge machen wollen.

Oft ist das auch eine Frage der Bürokratie. Hat letztere in der Schweiz spürbar zugenommen in Ihrer Zeit hier?
Ja, ganz klar. Das Arbeitszeitgesetz macht uns Mühe. Wir haben ausserdem grosse Schwierigkeiten mit Arbeitserlaubnissen aus dem Nicht-Schengen-Raum, sogar dann, wenn wir nur für einige Zeit einen Experten vor Ort beiziehen wollen. Überdies müssen wir alle gemeinsam versuchen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern – denken Sie nur an die schwierige Kinderkrippensituation an vielen Wohnorten unserer Mitarbeiter. Ich wünsche mir, dass die Schweiz ihre liberale Tradition aufrechterhält und nicht weiter reguliert. Und wenn sie reguliert, dann nur im Sinne von klaren Prinzipien.

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