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«Da hat mich das Fieber gepackt»

Initiative ist das eine, der Aufbau eines erfolgreichen Unternehmens erfordert aber mehr. Ein Gespräch über den richtigen Moment, den geeigneten Standort und den Wert von Humor im eigenen Team.

«Da hat mich das Fieber gepackt»
Thomas Bergen, photographiert von Michael Wiederstein.

Herr Bergen, Sie haben getAbstract im Jahr 1999 mitgegründet – die Firma steuert auf ihr 20-Jahr-Jubiläum zu. Erinnern Sie sich noch, wie alles angefangen hat?
Da muss man weit zurückgehen, weit vor die Gründung. Oft sind die Wurzeln zu Gründungen schon in der Kindheit angelegt – bei einer Firmengründung kommt es sehr auf das richtige Personal an. Bestenfalls muss man sich im Moment der Umsetzung einer Idee das Team nicht mühsam zusammensuchen, sondern weiss schon, mit wem man das durchziehen will. Bei mir waren das Leute, von denen ich bis heute sage, dass sie auf ihren jeweiligen Feldern zu den Besten gehören, die ich je getroffen habe.

Sie kannten Ihre damaligen Kollegen seit dem Kindergarten?
Fast. Wir waren zusammen auf dem Gymnasium, kennen uns seit 1980. Danach haben sich die Wege etwas geteilt, um dann wieder zusammenzulaufen.

Sie gingen an die HSG.
Genau. Da hat mich das Fieber gepackt. Rolf Dobelli und ich haben dort studiert und zusammen Dutzende von Businessplänen geschrieben. Eine Idee etwa war die Herstellung und der Vertrieb von teurem, handgesiebtem Papier, eine andere, die Logistik für das Catering auf Kreuzfahrtschiffen zu verbessern. Dafür haben wir sogar Philippe Bruggisser geschrieben, dem damaligen Swissair-Chef, und wollten ihm einen entsprechenden Konzernteil abkaufen. Warren Buffett ist uns dann zuvorgekommen (lacht). Die entscheidende Idee kam dann am 25. Dezember 1998 von Rolf: Buchzusammenfassungen. Das hat schon mehr ausgelöst bei uns als andere Ideen. Wir hatten ja während des Studiums am eigenen Leib gemerkt, dass alle zwar viel lesen sollten und auch wollten, aber zu wenig Zeit dafür hatten. Wir glaubten: da gibt es einen Markt.

Den gibt es, allerdings gab und gibt es auch mächtige Konkurrenz: Die klassischen Medien lieferten mit ihren Buchkritiken in den Feuilletons immer auch schon Zusammenfassungen. Wozu brauchte es da ein Start-up?
Natürlich haben wir zu testen versucht, ob es einen Markt für unsere Abstracts gibt – unter anderem, indem wir ein paar probehalber produziert und Leute gefragt haben, ob sie dafür zu zahlen bereit wären. Einen tatsächlichen Markttest aber gab es nicht. Für uns war allerdings klar, wer unsere Kunden sein sollten. Wir wollten einerseits übers Internet direkt an Einzelpersonen verkaufen, andererseits an Firmen, also B2B. Der Medienmarkt selbst war nie unser Ziel.

Ketzerische Frage: Hatten Sie nicht auch ein schlechtes Gewissen, den Leuten das Lesen – die wohl wichtigste Kulturtechnik – abzunehmen und damit auch noch Geld zu verdienen?
Überhaupt nicht. Es ist nämlich so, dass die Leute nach dem Lesen von Zusammenfassungen das Buch mit grösserer Wahrscheinlichkeit kaufen als zuvor. Das wurde schon mehrfach erhoben. Man wird neugierig und will noch mehr wissen. Wir ersetzen das Buchlesen also nicht, wir fördern es. Und das ist mir auch wichtig.

Wenn wir schon dabei sind: Welche Zusammenfassung aus Ihrem Haus ist Ihnen persönlich die wichtigste?
Den grössten Impact, mit Abstand, hatte unsere Zusammenfassung der Bibel. Acht Seiten. Das wurde viele Millionen Mal gekauft und runtergeladen. Wir haben das sehr seriös gemacht, mit einem protestantischen und einem katholischen Pfarrer, mit einem Vertreter einer Freikirche und zwei Journalisten, die Theologie studiert hatten, mitsamt Projektleiter. Ich muss sagen: das hat sich wirklich gelohnt. Viele Kirchen setzen das als Erstkontakt mit der Bibel ein.

Und welche fünf Bücher sollte man persönlich lesen, statt sie sich zusammenfassen zu lassen?
Uff. Es gibt sehr viele gute Romane, die man gelesen haben sollte. Wenn ich einen herausheben dürfte: ich finde wirklich, man sollte «The Lord of the Rings» gelesen haben, und zwar auf Englisch. Es ist fantastisch. Wenn wir aber über Nonfiction reden, wo wir unser Hauptfeld haben… Peter Drucker. Der hat im Grunde die Betriebswirtschaftslehre, wie wir sie heute kennen, erfunden. Hochrelevant.

Peter Drucker hätte Ihnen wohl auch gesagt, dass es im Vergleich zur anvisierten und dann wieder fallengelassenen Revolution im Schiffscatering ein grosses Plus Ihrer Geschäftsidee war, dass sie nicht besonders kapitalintensiv ist. Mindestens zu Beginn.
Durchaus. Wir haben mit einer 50 000-Franken-AG angefangen, wenn ich mich richtig erinnere, nach einigen Monaten waren es dann 200 000 Franken, und wir haben die Partnerschaft ausgebaut auf sechs Personen. Und da wird es unternehmerisch matchentscheidend. In dieser Phase eines Start-ups brauchst du wirklich einfach gute Leute auf unterschiedlichen Gebieten. Rolf kann und konnte Inhalte produzieren, meine Fähigkeit ist es, Leute reinzuholen und zu verkaufen. Patrick Brigger ist ein Genie am Computer. Der konnte alles programmieren, schon im Gymnasium. Genauso einer musste her. Tom Ladner ist Anwalt, der hat sich angeschaut, wie der Rechteprozess funktioniert. Es kamen noch andere hinzu. Klar ist: die meisten Unternehmen lassen sich heute nicht mehr alleine gründen. Man kann nicht ankommen und behaupten, man decke alle Fähigkeiten ab, die es zum Anfang braucht. Und wenn man sich diese Fähigkeiten einkaufen will, wird es sehr schnell teuer.

Und kompliziert.
So ist es, genau. Wenn man das selber als Gründungsteam schaffen kann, kann man günstig eine sehr hohe Qualität erreichen. Das wäre darum ein Tipp, den ich Gründern geben würde: Achtet wirklich darauf, mit wem ihr euch zusammentut.

Sie kannten Ihre Partner seit der Jugend, alles sehr gute Fachkräfte, wie Sie sagen – ein Glücksfall. Das alleine wird aber wohl kaum ausgereicht haben.
Die fachliche Qualifikation der Mitarbeiter ist eine Grundbedingung. Es braucht aber auch Platz für Leute, die einfach nur sehr intelligent sind. Weil man die Probleme, die auf einen zukommen, sowieso noch nicht kennt. Hochintelligente Menschen, die schnell verstehen und auch fähig sind, umzusetzen, können sich sehr schnell einarbeiten. Mindestens genauso wichtig ist dann, dass man mit seinen Gründungspartnern eine vernünftige Wertebasis teilt. Es ist gut, früh darüber zu sprechen. Denn das damit einhergehende Vertrauen kommt zum Tragen, wenn über Make or Break entschieden wird. Wenn die rudimentären Prozesse mal laufen, ist das das Entscheidende: Hält dieses Gründerteam zusammen, bis das Schiff wirklich erfolgreich auf Kurs ist? Das ist alles andere als trivial …

… und lässt sich auch nicht vorhersehen.
Vorhersehen lässt sich ohnehin wenig, etwas Risiko bleibt immer, aber es gibt Indizien. Für mich ist ein Gradmesser der, ob man den gegenseitigen Humor versteht. Wenn einer einen Witz macht, und ich denke gleich: «Was für ein dummer Kerl» – oder umgekehrt –, dann hat man wahrscheinlich auf einer tieferliegenden Ebene ein Kommunikationsproblem.

Sie haben jetzt von Werten gesprochen. Welche Rolle spielt bei der Gründung die Mentalität des ganzen Umfelds? Sie sagten, Sie hätten sich in den 1980ern kennengelernt. Es folgte eine Zeit, in der in Europa grosse Aufbruchstimmung herrschte, insbesondere nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. Spielte das Ihrer Ansicht nach eine Rolle?
Ich bin überzeugt davon. Ja. Wenn ich an den 9. November 1989 zurückdenke, bekomme ich heute noch Gänsehaut: Ich sass mit meinem Vater im Wohnzimmer, wir sahen die Bilder vom Mauerfall, und wir konnten es kaum glauben. Das war ein unglaubliches Gefühl. Ich muss dazu noch sagen, dass mein Vater aus Thüringen kommt. Er ist 1955 aus der DDR geflohen und war zwei Jahre lang in Flüchtlingslagern. 1960 kam er als ausgebildeter Weber und Textilingenieur in die Schweiz, ins Entlebuch, wo er auch meine Mutter kennenlernte. Er kam aus einer Unternehmerfamilie, auch wenn die 1949 natürlich alles abgeben mussten, ihre Eltern hatten aus dem Nichts eine Bäckerei gegründet. Das hat mich wahrscheinlich auch geprägt: Ich hatte schon immer das Gefühl, dass der Freiheitsgrad, den ich mir in meinem Leben wünsche, in einer Anstellung schwierig zu erreichen sein würde. Ich wollte eigener Herr meiner Zeit sein, sie nicht «verkaufen» müssen. Zeit ist das Wertvollste, das wir haben.

Sie haben mal gesagt: ab 30 Jahren wird der Schritt in die Selbständigkeit schwieriger. Wieso?
Das Problem ist nicht das Alter, das Problem sind die Fixkosten. Ich sage jungen Leuten, die ich berate: schaut, dass ihr die Fixkosten tief haltet. Die grösste Vernichterin für Opportunitäten ist die Hypothek. Sobald Leute eine Hypothek haben – und ich rede jetzt von Normalsterblichen, nicht von Erben –, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich selbständig machen, und zwar dramatisch. Es ist deshalb wichtig, bereits früh Geld zur Seite zu legen. Spart, so dass ihr die erste Phase einer Gründung selber finanzieren könnt! Das heisst keinesfalls, dass man nicht auch im fortgeschrittenen Alter zum Gründer werden kann. Man sollte sich einfach bewusst sein, dass es Dinge gibt, die einen in der Freiheit stark einschränken. Eine Hypothek gehört da definitiv dazu.

Können Sie nachvollziehen, dass das Gründen vielen potenziellen Gründern Angst macht – gerade wegen des unternehmerischen Risikos und der Gefahr zu scheitern, vielleicht auch öffentlich?
Ich glaube: es ist in der Schweiz mit einer guten Businessidee und guten Leuten einigermassen einfach, zu anständigen Bedingungen an Kapital zu kommen. Es gibt hier viele wohlhabende Menschen, die bereit sind, in Unternehmensgründungen zu investieren. Man sollte diesen Umstand nutzen! Unternehmerisches Scheitern ist auch kein Tabu mehr, wie vielleicht vor einigen Jahren noch – aber klar: wer gründet, geht ein Risiko ein. Wer von allen geliebt werden will, nicht scheitern will, dem ist das vielleicht zu viel. Das kommt auch nicht von ungefähr. Bedenken Sie nur, dass Schweizer in den letzten 40 Jahren brutal hohe Opportunitätskosten hatten, wenn sie selber gegründet haben. Wenn ein Junger kam und sagte, er wolle etwas radikal Neues machen, lautete die erste Frage stets: «Aber warum? Geht es dir nicht gut?» (lacht)

Man hätte ja auch gut einfach bei einer Bank arbeiten und gut verdienen können.
Eben. Sehen Sie, meine Frau kommt aus Südamerika. Natürlich gehen die Menschen dort viel schneller und häufiger Risiken ein. Aber warum? Weil ihr Leben sowieso schon viel riskanter ist und die Opportunitätskosten viel tiefer. Hier können wir viel verlieren. Das war bei mir nicht anders: Als wir getAbstract gründeten, war ich bei der Migros Bank gerade ins Direktionskader befördert worden. Das gefiel mir, es war ein toller Job bei einem hervorragenden Arbeitgeber. Gleichzeitig fragte mich mein Onkel in Deutschland, ob ich sein Bauunternehmen übernehmen wollte – auch eine gute Opportunität. Eine Privatbank fragte mich an, dort Partner zu werden. Und dann kam noch Rolf mit seiner Idee! Das kam alles zur gleichen Zeit. Wir haben dann an einem Flipchart auf einem Blatt die verschiedenen Opportunitäten möglichst rational berechnet, ich habe das immer noch bei mir zu Hause. Und wissen Sie, was auf dem ersten Platz landete?

Es wäre logisch, aber wohl falsch, jetzt «getAbstract» zu antworten.
GetAbstract war Nummer drei (lacht). Auf dem ersten Platz lag die Privatbank. Da hat einfach alles gestimmt, Freiheitsgrad, Salär, alles. Also habe ich auf Ende Mai bei der Migros Bank gekündigt und einen Arbeitsvertrag ab November in der Privatbank unterzeichnet. Dazwischen wollte ich noch meine Dissertation schreiben. Parallel dazu konnte ich aber nun ohne grosses Risiko getAbstract testen. Und spätestens bis Ende Jahr wollten wir dann entscheiden, welcher Weg es nun wird. Natürlich habe ich dann meine Dissertation nicht geschrieben, weil es mir schon im Juni bei getAbstract so den Ärmel reingenommen hatte. Im Oktober hatten wir dann erfolgreiche Gespräche mit externen Finanzierungspartnern, danach war alles klar. Ich habe die Bank informiert und gesagt, dass ich nicht kommen könne. Die sagten aber, sie bräuchten mich unbedingt. Also bin ich zwei Jahre lang jeden Monat eine Woche für die nach Argentinien geflogen – wie abgemacht. Das war eine sehr intensive Zeit, aber am Schluss ging alles Hand in Hand. Und: ich hatte die Risiken minimiert.

Apropos Risikobewertung: Wie beurteilen Sie generell die Standortfaktoren in der Schweiz?
Sie sind sehr gut. Natürlich ist das jetzt subjektiv, aber ich habe einfach festgestellt, dass mich beispielsweise die Behörden in der Schweiz immer sehr gut unterstützt haben. Wenn man Fragen hat, sind die Türen offen. Sie sprechen mit einem und sind sehr hilfsbereit. Weiter haben wir Zugang zu einem ausgezeichneten Arbeitsmarkt: Sie finden hervorragend qualifizierte Leute, Sie können sie aber auch wieder entlassen, falls das nötig wird. Wir haben weltweit möglicherweise den liberalsten Arbeitsmarkt. Und, wie gesagt, es gibt Kapital. Das sind die drei Bedingungen, die für mich zentral sind – und wir sollten auch zusehen, dass sie mindestens so gut bleiben, wie sie sind.

Und das Land ist international gut vernetzt.
Unbedingt. Aus der Schweiz haben Sie Marktzutritt in Europa, Sie haben relativ einfachen Marktzutritt in den Vereinigten Staaten, Sie können nach Asien verkaufen. Mit der Öffnung der Grenzen ist viel mehr möglich geworden, das Internet hat diese Möglichkeiten dann noch einmal potenziert. Und es kommt noch hinzu, dass man als Schweizer im Ausland tendenziell einen Vertrauensvorschuss geniesst. Das hat es mir beispielsweise erlaubt, viele Geschäfte auf Handschlagbasis zu machen, und die schriftlichen Verträge nachzureichen, wenn Zeit dafür war. Das hat immer gut funktioniert.

Könnte der Schweizer Staat etwas besser machen?
(Überlegt)
In ein paar Bereichen ist die Regeldichte ein Problem. Die Arbeitszeiterfassung beispielsweise ist für ein Unternehmen, wie wir es sind, ein Albtraum. Wir haben so viele verschiedene Arbeitszeitmodelle. Wir haben 110 festangestellte Leute, aber nur vielleicht 50 davon haben ein Arbeitsverhältnis, wie man das traditionell kennt, 100 Prozent, Montag bis Freitag. Die andern haben Teilzeitmodelle. Hinzu kommen über 250 Freelancer, die für uns arbeiten. Bei uns kommen die meisten Leute doch gar nicht ins Büro! Diese Arbeitszeitregeln … Ich verstehe schon, was die Idee dahinter ist. Es ist nicht falsch, Arbeitnehmer schützen zu wollen, das sage selbst ich als überzeugter Liberaler. Ich glaube aber nicht, dass das so eine gute Lösung ist.

Sie sind mit Ihrem Unternehmen inzwischen weltweit tätig. Wie finden Sie – jenseits der Luzerner Gymnasien – heute Ihre Mitarbeiter?
Die meisten Leute finden uns, nicht wir sie. Wir bekommen jeden Tag etwa fünf bis zehn Spontanbewerbungen. Dann fangen die meisten als Freelancer an, und da stellen Sie sehr rasch fest, wer etwas kann. Viele einstige Freelancer haben bei uns inzwischen ganz andere Funktionen, wenn sie sich bewährt haben. Das Unternehmen wächst ganz natürlich.

Zum Abschluss: Wenn Sie jungen Menschen in der Schweiz einen Tipp geben könnten zu Risiko, Mut und Optimismus – nur einen –, welcher wäre das?
Das ist immer derselbe: Lebe dein Leben! Mach etwas daraus!

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