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Alternative: Lücken füllen

Statt Programme und Verbreitungskanäle zu fördern, sollte sich der Bund auf die Förderung von Inhalten konzentrieren, die Private nicht bereitstellen. Nur so gelingt es, den Rundfunkmarkt auf lange Frist technologisch flexibel und effizient zu halten.

Warum fördert die öffentliche Hand die Erstellung und Verbreitung von Rundfunkprogrammen? Ein gewichtiges Argument ist das vermutete Marktversagen, denn die Schweiz ist ein herausfordernder Rundfunkmarkt: Wenige Millionen Einwohner auf vier Sprachregionen verteilt, Programmeinstrahlungen aus den Nachbarmärkten, politische Kleinteiligkeit und auch geographische Barrieren – all dies sind Stolpersteine für die Etablierung eines privaten Angebots. Was lag daher näher als die Finanzierung eines flächendeckenden nationalen Anbieters? Eines «nationalen Champions», wenn man so will. Dieser Politik folgten in den 1930er, 1940er und 1950er Jahren praktisch alle westlichen Staaten, unabhängig von den lokalen Marktgegebenheiten.

Doch seit der Mitte des letzten Jahrhunderts hat sich einiges verändert, sowohl hinsichtlich der Produktions- und Übertragungstechnologie wie auch der Nutzergewohnheiten. Eine dieser Veränderungen prägt den Rundfunkmarkt in besonderem Masse: die Digitalisierung und die mit ihr drastisch gesunkenen Kosten bei Produktion und Verbreitungskanälen. Wenig überraschend, dass das private Angebot in der Folge regelrecht explodierte. Und die Schweizer Medienpolitik? Sie folgt nach wie vor dem gewohnten Modell der 1950er Jahre. Der jüngste «Service public»-Bericht des Bundesrates konzentriert sich nahezu ausschliesslich auf die Frage, was der Schweizer nationale Champion, die SRG, tun und lassen soll. Höchste Zeit also, dass die Medienpolitik den Sprung in das 21. Jahrhundert wagt, die heutigen Marktgegebenheiten gründlich analysiert und vor allem: in ihren Entscheidungen berücksichtigt.

 

Marktanalyse

Wie sehen die aktuellen Marktgegebenheiten also aus? Im Radiosektor lassen sich keine systematischen Unterschiede der privaten Programme erkennen, alle bieten ein vielfältiges Vollprogramm. Offenkundig konnte sich das private Angebot zügig und weitgehend ungehindert entfalten. Der Vergleich mit den öffentlichen Programmen zeigt Stärken der SRG bei radiopublizistischen Formaten (Magazine, Reportagen) sowie nationalen und internationalen Nachrichten. Ganz anders die Lage im TV-Markt: hier zeigen sich klare systematische Unterschiede zwischen den Programmen. Konzessionierte Anbieter bieten ein breites fernsehpublizistisches und Nachrichten-Angebot mit einem starken lokalen Bezug und einem hohen Anteil an Eigenproduktionen. Die rein privat finanzierten Sender fokussieren hingegen auf fiktionale Unterhaltungsformate, und hier vor allem Fremdproduktionen. Die SRG-Programme lassen sich im Mittelfeld zwischen diesen zwei Polen verorten. Ähnlich wie bei den privaten Regionalsendern findet sich ein substanzieller Anteil der fernsehpublizistischen und Nachrichten-Formate mit einem lokalen und nationalen Bezug. Anders als die Regionalsender bieten die SRG-Programme jedoch auch einen hohen Anteil fiktionaler Unterhaltung und Fremdproduktionen.

Wie kommt es zu diesen markanten Unterschieden? Eine Erklärung ist in der Dynamik der Etablierung und Entwicklung privater Angebote zu finden. Denn private Angebote streben nach Profitabilität und passen sich dabei den Marktgegebenheiten an. Ohne eine öffentliche Förderung ist Profitabilität vor allem im Bereich der fiktionalen Unterhaltung zu erzielen – mit zugekauften Serien und Filmen lässt sich Geld verdienen. Fremdproduktionen alleine schaffen jedoch keine ausreichende Senderprofilierung und Publikumsbindung. Aus diesem Grund erfolgt in einem zweiten Schritt die Expansion in unterhaltende Eigenproduktionen und erste, unterhaltungsnahe fernsehpublizistische Angebote. Die so ermöglichte Bindung des Publikums ist wiederum Voraussetzung für einen weiteren Ausbau des Programmangebots, etwa in Sportprogramme, eigenproduzierte fiktionale Unterhaltung und unterhaltungsfernere fernsehpublizistische Formate.

An dieser Stelle beisst sich jedoch das Ziel eines florierenden privaten Angebots mit der heutigen Strategie eines «nationalen Champions». Denn der öffentlich finanzierte Champion baut sein Vollprogramm fortlaufend aus. Gegenüber der Politik kann dies mit der Erfüllung des umfassenden, praktisch unbegrenzten Programmauftrags begründet werden, aber selbstverständlich macht der Platzhirsch den privaten Rehkitzen damit das Leben schwer. Erst in den vergangenen Monaten konnte diese eigentlich banale Erkenntnis auch in der Schweizer Service-public-Debatte Anerkennung finden – selbst der Bundesrat anerkennt diesen Umstand nun zaghaft.

Das breite SRG-Angebot fiktionaler Unterhaltungsprogramme erschwert also den Privaten den Markteintritt und die Refinanzierung, die Expansion in umfassende Regionalprogramme bedrängt zudem die konzessionierten Privaten. Oder prägnanter: weil die Schweizer Medienpolitik strategisch in den 1950er Jahren stehengeblieben ist, verharrt der Medienmarkt unweigerlich im Status quo. Das «Marktversagen» ist zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung geworden.

 

Marktbelebung

Eine Alternative hierzu bestünde in einem Konzept dynamischer Subsidiarität. Was bedeutet das? In regelmässigen Abständen wäre die Breite des privaten Angebots in der Schweiz zu erheben, nicht nur die Qualität der SRG-Programme (angesichts der verfügbaren Budgets wäre es verwunderlich, wenn diese nicht hoch wäre). Allein auf dieser Basis kann entschieden werden, welche Inhalte subsidiär durch die öffentliche Hand zu fördern sind, wo also noch eine Art Marktversagen vermutet werden kann. Öffentliche Finanzierung würde in der Folge nur noch dort greifen, wo private fehlt.

Die dynamische Subsidiarität ist damit ein herausfordernder Politikansatz, aber zugleich ein ungemein flexibler – eine grosse Stärke im heutigen, dynamischen Medienumfeld. Kein anderer Ansatz ist so gut geeignet, den Anforderungen der Digitalisierung gerecht zu werden. Warum? Die dynamische Subsidiarität legt den Fokus auf das Programmangebot, nicht auf die Anbieter oder deren Technologie. Im Mittelpunkt steht die Frage: Welche wichtigen oder notwendigen Inhalte werden dem Schweizer Publikum durch Private zur Verfügung gestellt und welche nicht? Welche Inhalte müssen also subventioniert werden.

Die Inhalteförderung könnte dabei eine ähnliche Form annehmen wie die bewährte Kulturförderung durch Pro Helvetia oder die Wissenschaftsförderung durch den Schweizer Nationalfonds. Basierend auf den Vorgaben der Politik werden Förderrichtlinien festgelegt. So können gezielt Formate ausgeschrieben werden – Schweizer Filme und Serien, nationale Nachrichten, Reportagen, Kulturmagazine oder ausgewählte Sportgrossereignisse. Wer sich dann um die entsprechende Förderung bewirbt, ist völlig offen. Ein Kreis unabhängiger Experten, der sich überwiegend aus dem Kreis der Betroffenen rekrutiert, begutachtet schliesslich die Qualität der Bewerbungen.

Auch wenn die SRG aufgrund ihrer Erfahrung vor allem zu Beginn sicher die Nase vorne hätte, würde in diesem Modell das Wachstum der Privaten potenziell gefördert und gefordert, nicht behindert. Warum sollten also Regionaljournale nicht durch die Regionalen produziert werden, sprachregionale Nachrichten oder Magazine etwa durch AZ-Medien, Serien durch 3+ und Sportgrossereignisse durch eine Allianz aus SRF und Privaten? Alle Schweizer Anbieter hätten die Möglichkeit zu wachsen, Kompetenzen auszubauen, Personal einzustellen.

Sinnvoll wäre auch die Verbindung öffentlicher Förderung mit einer Art «Open Access»-Obligation: die öffentlich finanzierten Inhalte müssten öffentlich zugänglich sein, insbesondere auch im Internet. Früher oder später wird der Gesetzgeber die Marktordnung im Rundfunksektor den technologischen Gegebenheiten ohnehin anpassen müssen – andernfalls droht der Schweizer Rundfunkmarkt endgültig den Anschluss an die internationale Entwicklung zu verlieren. Um das zu verhindern, braucht es Systemalternativen, die eine qualitativ hochwertige Versorgung der Bürger sicherstellen – unabhängig, offen für neue Anbieter, technologisch flexibel und am Ende auch effizient.

 

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