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Nacht des Monats
mit Sandro Mazzoni

Sandro Mazzoni führt ein Kino, in dem B-Movies gezeigt werden.

Nacht des Monats  mit Sandro Mazzoni
Sandro Mazzoni und der Scopitone, photographiert von Gregor Szyndler.

An der Grellingerstrasse in Basel sucht man Nachtruhe oder die Nähe zum Bahnhof. Als ich mich im Quartierladen nach dem Kino «B-Movie» durchfrage, schauen sie mich an wie einen, der im falschen Film ist. In einer urbanen Komödie, in der Ausgeh- und Zubettgehviertel verwechselt werden: aber für wirklich gutes Liebhaberkino muss man das Zentrum meiden. An einer farblosen Kreuzung dringt Musik aus einem Kellereingang. «Tu ne peux ignorer les dangers / Que représentent les libertés», singt France Galle in ihrem Song «Baby Pop». Ich folge den herrlich überdrehten 60er-Chanson-Klängen in einen garagenartigen Raum, wo mich Sandro Mazzoni erwartet. Das «B-Movie» ist sein Baby: von den Raumeinteilern bis zum Bartresen, von den Kinosesseln bis zum Multimedia-Server hat Sandro Mazzoni überall mit Hand angelegt.

«Was ist denn das?», frage ich ihn, nachdem ich France Galle gefolgt bin bis zu einer Mischung aus Mikrowelle und japanischer 50er-Jahre-Marsroboterfantasie. «Das ist ein Scopitone», sagt er. Eine Jukebox, die 16-mm-Filme mit Ton verbindet. «The aristocrat of musical entertainment» nannte man diese Maschinen und «coin-operated audio-visual entertainment system». Sie wurden um 1960 in Frankreich gebaut, eroberten dann Westdeutschland, England, die USA. – «It brings the image to the sound», versprach die Werbung. «Provinzbars lockten die Leute zu sich mit dem Argument, hier bekäme man die Stars zu hören und zu sehen.» Man wünscht sich ein Stück, drückt einen Knopf, dann rattert es, schon knattert es und schliesslich flattert es, in Farben so grell wie die Musik, auf der eingebauten Leinwand. Auf sein Scopitone ist Sandro stolz.

Sandro spendiert mir ein Bier. Wir trinken. Ich sehe mich im Foyer um, stehe bald vor einem anderen, dieses Mal gusseisernen Riesending. Sandro schmunzelt: «Wer hat denn heute schon keinen Filmprojektor bei sich rumstehen?» Das Ding ist sechzig Jahre alt und wiegt locker ein paar hundert Kilo. «Den kannst du jederzeit wieder in Betrieb nehmen! Versuch das mal im Jahr 2075 mit einem heutigen Digitalprojektor!»

Zurück am Tresen, konfrontiere ich Sandro mit den Früchten meiner dreissig Sekunden Wikipedia-Recherche: «Man versteht ja unter einem B-Movie zweitklassige Filme mit kleinem Budget und noch kleinerem künstlerischem Anspruch…» – Sandro schmunzelt so kennerisch, dass ich abbreche und sicherheitshalber noch einen Schluck Bier nehme. «Ich habe noch nie jemanden von einem schlechten Film als ‹B-Movie› sprechen gehört», erwidert er, «sondern nur von einem ‹schlechten Film›. Es ist wie bei der Musik: manche B-Seite einer Single wurde berühmter als die A-Seite. Siehe ‹Hello Goodbye› und ‹I am the Walrus› oder ‹Jeremy› und ‹Yellow Ledbetter›!» Sandro nimmt Fahrt auf. Seine Begeisterung steckt an, wenn auch einige der von ihm vorausgesetzten Filmkenntnisse mich schneller trinken und gravitätischer nicken lassen.

Er schwärmt von Regisseuren und Schauspielern, davon, wie spannend es sei, die schrägsten Filme aufzutreiben und dann in einem von A bis Z eigenen Saal zu zeigen. Das «B-Movie», sagt er, führe an die Ränder des Filmbetriebs, dorthin, wo Elijah «The Hobbit» Wood zum perversen Frauenmörder wird («Pawn Shop Chronicles»), dorthin, wo das russische Schwarzweiss-Science-Fiction-Epos «Es ist schwer, ein Gott zu sein» Ratlosigkeit provoziert. Fünfzehn Jahre hat Aleksei German daran gearbeitet, gar gestorben ist er über den Arbeiten. Heute aber – schon in wenigen Minuten! – läuft Ryan Goslings verstörendes Regiedebüt «Lost River». Der Streifen ist so abseitig, dass der Schweizer Vertrieb auf die Verwertung verzichtet. Das «B-Movie» ist der einzige Saal, der den Streifen bei uns zeigt.

Ein Liebhaberkino für die richtig schrägen Filme, in einem Quartier, in dem die Trottoirs am späten Nachmittag hochgekurbelt werden – dahinter steht Leidenschaft. «Tu ne peux ignorer les dangers / Que représentent les libertés» – stimmt, denn nur schon die Filmverleihkosten holt Sandro selten rein. Dafür ist er sein eigener Programmchef, Ticketverkäufer und Barmann. Für den Luxus einer solchen Freiheit arbeitet er noch so gerne nebenbei als Feinmechaniker und Kinooperateur. Einfach in einem anderen, grösseren Kino.

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