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Nacht des Monats
mit Gayane

Nacht des Monats  mit Gayane
Armenische Wassermelone, photographiert von Claudia Mäder.

Wir suchen Teryan. Schon seit Stunden. Gefühlten und geschätzten – in der Hitze Jerewans blähen sich Sekunden zu Minuten und jeder Schritt ist einer zu viel. Saharatemperaturen ist man sich inzwischen zwar auch in der helvetischen Heimat gewöhnt, aber wenn sich zu 35 Celsiusgraden ein Zahlengewirr von 3 bis 93 mischt, kommen wir als gemeine Schweizer an unsere Grenzen. Das armenische Hausnummernsystem erschliesst sich uns nicht, wir gehen die immer gleiche Strasse auf und ab, wissen, dass hier irgendwo der phantastische syrische «Teryan-Kebab» sein muss, finden einen Eingang zur Nummer 7, wo uns die Logik etwas hohes Zweistelliges erwarten lässt, und nähern uns, je nach Temperament, allmählich der 180 oder dem Nullpunkt.

Leicht verzweifelt und mittlerweile sehr hungrig sind wir jedenfalls, als unvermittelt ein nummernloser, aber bekannter Torbogen vor uns auftaucht und wir Teryan kurzentschlossen fallenlassen, um uns zu Gayane zu retten. Wir profitieren dabei für einmal von der Geschwätzigkeit unseres jungen Übersetzers, der uns vor zwei Tagen wortreich jede hinter diesem Eingang zu erwartende Wegwendung beschrieben hat, gehen entspannt durchs Tor, an einem Schuppen, zwei Wohnblocks und einer kaukasischen Katze vorbei, und landen wie vorgestern schon glücklich auf Gayanes himmlischer Veranda. Die ist nicht umsonst gut versteckt: In den 1970ern, als es im sowjetischen Armenien noch verboten war, private Geschäfte zu eröffnen, lud die umtriebige Dame Freunde und Bekannte zu sich ins Wohnzimmer und bekochte sie gegen kleines Entgelt. Wohl sind die Preise inzwischen etwas gestiegen, und auch weist ein dezentes Werbeschild den Hinterhof heute als «The Restaurant» aus, die heimelige Atmosphäre aber ist geblieben, und das armenische Essen kommt nach wie vor direkt aus der Wohnungsküche auf die Gartentische.

Gayane, die blonde Restaurantmatrone, erkennt uns sofort wieder; eben erst haben wir hier gesessen, gegessen und einer Runde russischer Pensionäre bei der Wiedergabe von Charles-Aznavour-Klassikern gelauscht. «Ça s’en va l’amour, notre été s’en est allé» – das mag sein, vieles vergeht schnell und endet in Herz- oder Kopfschmerzen, aber wir sind zäher und schon wieder hier. Und die Wirtin schon wieder in Nöten: Musste Gayane vor zwei Tagen auf ein armenisch-amerikanisches Pärchen zurückgreifen, um uns das Gewünschte aufzutischen, teilt sie die Übersetzerrolle heute einer siebenköpfigen armenischen Männertruppe zu. Die heiteren Herren sind uns einige Flaschen voraus, haben, wie ihr mit Tellern überstellter Tisch bezeugt, auch bereits einige lokale Köstlichkeiten genossen und setzen sich nun beherzt dafür ein, dass wir zu ihnen aufschliessen. Tatsächlich sitzen wir bald mitten im armenischen Getümmel und vor haufenweise Schalen mit Fleisch und Weinblättern, Bohnenspeisen, Zwiebelschwänzen und Auberginenkreationen.

Arkadi, unserem Chefunterhändler, liegt indes etwas anderes auf der Zunge. Der Armenier ist als Kaffeehändler tätig und häufig in Westeuropa unterwegs; Genf kennt er genauso gut wie Basel und die Schweizer Uhren, und in Deutschland, weiss er, gibt es ein einzigartiges Grüngemüse. Wir tippen auf unreife Tomaten, Rucola, Bärlauch. Arkadis Freunde helfen derweil auch nicht weiter – sie sind längst schon anderswo, zeigen uns Handyphotos von ihren Kindern, die sich in Spanien zur Patisseurin ausbilden lassen oder in den USA einen MBA absolvieren, und schicken Bilder von unserer Tafel an ihre Lieben, die in Holland und Dänemark leben. Und Arkadi ruft unterdessen seine Frau an, um endlich die Frage nach dem Grünling zu klären: «Spargel!»

Natürlich, schändlich, dass wir den deutschen Asparagus vergassen, aber uns dürstet gerade mehr nach armenischer Wassermelone. Gayane hat keine mehr im Haus, doch zum Glück sind die Armenier nicht nur mit der ganzen Welt verbunden, sondern auch in Jerewan bestens vernetzt. Ein Anruf und fünf Minuten später liefert einer von Arkadis Freunden die ersehnte Melone per Moped an. Wir verdanken sie lokalkonform mit mehreren Toasts auf Charles Aznavour und gelangen einige Tropfen später zur westschweizerischen Statue Freddy Mercurys und zum Château Chillon. Ein Schloss wollen die Herren auch besuchen: «Soon we will see Neuschwanstein – with our girlfriends from St. Petersburg.» Uns schwant anderes und wir verabschieden die recke Gesellschaft beim eisernen Eingangstor. Teryan werden wir nie mehr finden. Armenische Gastfreundschaft aber noch so manches Mal. Mehr dazu im Dezemberheft.

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