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Nacht des Monats
im Grenzwachtposten Schaffhausen West

Nacht des Monats  im Grenzwachtposten Schaffhausen West
Grenzwache Schaffhausen, photographiert von Nora Schmid.

Strenge, schwer bewaffnete Männer mit grossem Hang zur Autorität – so sind mir Grenzwächter von eigenen Grenzüberquerungen her bekannt. Dieses Bild scheint sich bei meiner Ankunft im Grenzwachtposten Schaffhausen West nur zu bestätigen: Ein graues, unscheinbares Gebäude, gut gesichert und verriegelt. Ich betätige scheu die Türklingel und werde sogleich mit kräftigem Händedruck empfangen: «Ich bin Herr Mägerle, du kannst aber auch einfach Christian sagen», heisst mich der Einsatzleiter willkommen. Die schelmische Frage, ob ich nicht noch einen starken Kaffee möchte, bevor es in die Nacht hinausgeht, folgt auf dem Fuss. Überrascht über so viel Offenheit lasse ich mich gespannt auf das Abenteuer ein: Nachtschicht mit einer mobilen Grenzwachtpatrouille in Schaffhausen.

Im Einsatzwagen herrscht Stille. Aus den Lautsprechern dudeln leise die aktuellen Radiohits, von Zeit zu Zeit unterbrochen durch kurze Sätze aus dem Funkgerät. «Over and out.» Das ist alles, was zumindest ich von den kurzen Signalen verstehe. Tatsächlich aber werden wir dank ihnen stets auf dem Laufenden gehalten und erfahren so auch von einer aktuellen Fahndung: ein rumänisches Auto hat bei einer Kontrolle «Durchbruch» begangen – mit 30 Kilo Fleisch an Bord soll es den deutschen Zöllnern davongefahren sein! Unter den Grenzwächtern löst die Nachricht fast schon Vorfreude aus – und weckt den Jagdinstinkt der Männer: Der Fang des mutmasslichen Schmuggelgutes – erlaubt sind bei Grenzüberquerung maximal 1 Kilo Fleisch – verspricht der Höhepunkt der heutigen Nachtschicht zu werden.

Noch lässt der fleischbefrachtete Rumäne aber auf sich warten. Auto um Auto rauscht vorüber. Nummernschild um Nummernschild gilt es zu erspähen. Allerdings rasen sie in der Dunkelheit oft schneller vorbei, als ich ihnen meinen Kopf nachdrehen kann. In eine neongelbe Leuchtweste mit der Aufschrift «GRENZWACHE» gekleidet, stehe ich am Strassenrand und reflektiere jeweils das nächste näher kommende Fahrzeug. Stichprobenweise kontrollieren die Grenzwächter verdächtig erscheinende Autos und ziehen diese jeweils aus dem Verkehr. Nach einer Durchsuchung oder Durchleuchtung des Kofferraumes und der Kontrolle der Ausweise lässt man sie aber meist weiterziehen. Was die einen Fahrer als unerwartete, hinter einer Kurve lauernde Bedrohung wahrnehmen, scheint für die anderen ein lästiger Routineakt zu sein. Von Seiten der Schweizer wird stets mit einem Zähne zeigenden «Grüezi» aufgetrumpft, während die Ausländer ihr bestes Deutsch herbeiziehen, um möglichst wenig Aufmerksamkeit zu erregen. Eine Art Katz-und-Maus-Spiel sei das Ganze, erzählt mir Christian später. Nie könne man wissen, wer wirklich etwas dabeihabe. So helfe ihm meist nur die Erfahrung, die er sich in den letzten 25 Berufsjahren angeeignet habe.

Und der Rumäne? Als der flüchtige Fleischfahrer nach über zwei Stunden immer noch nicht aufgetaucht ist, macht sich Unsicherheit und auch eine Spur Enttäuschung breit. Die Entscheidung, die Jagd abzubrechen, liegt offenbar nahe. Doch just in diesem Moment dringt wildes Stimmengewirr aus dem Funkgerät. Die Einreise des gesuchten Fahrzeugs konnte soeben beobachtet werden. Minuten später wird das rumänische Fahrzeug auf Schweizer Boden gefasst und in die nächstgrössere Zollstelle – nach Ramsen – gebracht. Das Fleisch allerdings suchen wir vergeblich. Aus Angst vor einer horrenden Busse haben die fünf Rumänen das Schmuggelgut offenbar gleich nach der deutschen Kontrolle im nächsten Müllcontainer entsorgt. Viel Aufregung um nichts also.

Viel Aufregung? Am Ende der Schicht bezeichnet «mein» Einsatzteam die Nacht als «durchschnittlich». Die wahren Abenteuer – wilde Verfolgungsjagd, Stellung einer Einbrecherbande oder Aufspüren von Betäubungsspritzen in der Autoverkleidung –, ergänzen sie, wollten eigentlich nie passieren, wenn Journalisten mit vor Ort seien. Über diesen Fakt scheinen die Grenzwächter allerdings enttäuschter zu sein als ich. Denn ganz ehrlich: mein Bedarf an Abenteuern ist für diese Nacht vollkommen gedeckt.

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