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Nacht des Monats im Pfuusbus

Nacht des Monats im Pfuusbus
Der Pfuusbus, photographiert von Nora Schmid.

Auf einem verlassenen Platz steht der parkierte Bus. Leicht versteckt hinter einer Baumzeile, bemerkbar zu dieser Uhrzeit bloss wegen der hellen Lichterketten, die mir schon von weitem entgegenleuchten. In der Leere und Stille dieser eiskalten Winternacht strahlen sie lockende Wärme aus, die sich allerdings in der Dunkelheit des Waldes jenseits des Albisgüetli rasch wieder verliert.

Ich schiebe die Eingangsplane zur Seite, schaue mich im warmen Vorzelt des «Pfuusbus» um. Eine Dose Kekse steht auf einem Sperrmülltisch und aus dem Inneren des alten Camperbusses dringt Gemurmel. Die schlichte Dekoration erinnert an vergangene Festtage, und Essensdüfte strömen aus der Küche. Pasta mit Fleischsauce, denke ich – hole Luft und tauche für ein paar Stunden als Helferin in eine Welt, die mir fremd, für andere aber harter Alltag ist.

Die Holztreppe hinauf zum Bus mündet in eine winzige Küche. Fleissig kochen die Freiwilligen des Küchenteams für die unbestimmte Anzahl Gäste, die allabendlich aus der Stadt und den umliegenden Wäldern zu Pfarrer Siebers «Pfuusbus» wandern. Gestalten, die schon bald langsam und wortkarg die Treppe hochgestapft kommen. Menschen mit gezeichneten Gesichtern, aus denen müde Augen konsequent an mir vorbeischauen, Mienen so leer wie ihre inneren Batterien und nicht selten auch verdeckt von lang nicht mehr geschnittenen Haaren. Teller für Teller nehmen sie hungrig entgegen, nur um sie mir innerhalb kürzester Zeit für den Nachschlag entgegenzustrecken. Noch immer verlieren sie kaum ein Wort, warum auch? Es geht hier um die Befriedigung des elementarsten menschlichen Bedürfnisses. Aus Hunger wird Sättigung. Dem kalten Nichts weicht nun immerhin warmes Essen. Und wer redet, denke ich, ist immer auch schon satt.

Ich muss zwei ziehen und dann eine Runde aussetzen. Zwei «Pfuuser» haben mich zu einer Partie UNO eingeladen und schnell in ihre Mitte aufgenommen. Erbittert wird um jede Karte gestritten. Egal ob mit Schummeln, der plötzlichen Erhöhung des Spieltempos, bösen Blicken oder blöden Sprüchen: hier wird mit allen Mitteln gekämpft. Mein leicht alkoholisierter Sitznachbar versucht es statt mit ausgeklügelter Taktik lieber mit Provokation. Und mit geringem Erfolg. Aber wie im Flug vergeht die Zeit – und die abgewetzten, bunten Karten verdrängen jeden noch so grauen Alltag.

Kurz vor 23.00 Uhr löst sich die Runde allmählich auf. Abgesehen von einzelnen Schnarchern kehrt langsam Ruhe ein im «Pfuusbus». Ich bleibe alleine mit den Hüttenwarten Andreas und Martin zurück. Nun beginne das lange Warten, erzählen mir die zwei. Stets aufmerksam, sich der Verantwortung gegenüber diesen Schlafenden bewusst, hoffen sie auf eine ruhige und ereignislose Nacht. Doch die Eingangsplane wird ein weiteres Mal zur Seite geschoben, und eine Frau tritt ein. Jung sind ihre Augen. Aber markante Narben zeichnen ihre zierlichen Arme, ein ehemals weisser Verband hält den linken Unterarm, ihr Gesicht ist vor Schmutz kaum erkennbar. Mit einer Hand wischt sie sich eine fettige Strähne aus der Stirn und gibt damit gleichzeitig den Blick frei auf eine schlechtverheilte Wunde am Kinn. Trübe, in tiefen Höhlen liegende Augen begegnen meinem Blick. Schnell richte ich einen Essensteller her und überreiche ihn ihr. Sie nickt mir kurz zu, dreht sich um, begibt sich in eine Polsterecke des Busses und vertieft sich in ein Lustiges Taschenbuch. Es ist ihr eigenes, fest umklammert hält sie es, liest langsam Wort für Wort, Satz für Satz, um dann zur nächsten Sprechblase überzugehen. Ein Lächeln umspielt die Lippen. Kurz glätten sich dann die verhärteten Gesichtszüge, bevor die ausdruckslose Maske wieder das Regime übernimmt. Entenhausen als Hosentaschen-Refugium. Eine heile, vorstellbare Welt als kurze Flucht vor der echten, aber unvorstellbar zerrütteten.

Wie Kinder seien viele, erzählen mir Andreas und Martin. Nie wisse man, wie es ihnen wirklich gehe, was erfunden und was wahr sei. Aber um das gehe es hier ja auch nicht. Vielmehr stehe das Erzählen, das Abladen und das Ernstgenommenwerden der eigenen Bedürfnisse im Vordergrund. Im «Pfuusbus» können sie kurz durchatmen, auftanken. Die Welt jenseits des Busses vergessen. Wenigstens für ein paar Stunden.

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