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Klassenbester

Der Fussballclub Basel steckt im selben Dilemma wie viele Schweizer Unternehmen: er will in der globalen Spitzenliga mitspielen und muss lokale Demut zeigen. Über den Spagat zwischen VIP-Lounge und Muttenzerkurve.

Klassenbester
Bernhard Heusler, photographiert von Giorgio von Arb.

Herr Heusler, ein Bierbrauer hat sich bei mir beklagt, dass er nicht wie seine Geschäftsfreunde von der Wasserquelle wegziehen könne. Die Mobilität seines Geschäftes und damit die Erschliessung neuer Märkte sei stark eingeschränkt. Sind Sie traurig, dass Sie mit Ihrem Unternehmen nicht einfach in eine grosse europäische Stadt und Liga weiterziehen können?

Ein spannendes Gedankenspiel: in einer Stadt, wo Hunger und Freude gross sind. Aber Tatsache ist, wir sind in der europäischen und in der schweizerischen Sportlandschaft absolut an die Stadt Basel und an die Region gebunden, wo der Club vor 125 Jahren gegründet wurde. Als US-Sportfranchise könnte der FC Basel auch in eine andere Stadt ziehen. Für mich selber wäre das ein Szenario, das mir als «Kind dieses Stadtclubs» nicht gefällt. Nichtsdestotrotz beschäftigt uns dieses Dilemma zwischen globalem oder zumindest europäischem Anspruch und nationaler bis lokaler Identitätswahrung sehr.

Sie selber erleben das am eigenen Leib – dies lässt zumindest der Blick auf Ihren Werdegang rückschliessen: vom globalen Wirtschaftsanwalt in die Muttenzerkurve.

Das stimmt. Ich bin erst nach 40 in die Rolle im FC Basel hineingewachsen. Als Anwalt war ich zuvor international tätig und arbeitete unter anderem einmal für zwei Jahre in den USA. Zunächst an der Westküste, dann in New York. Doch zurück zum Fussball und zum FC Basel: das Dilemma existiert, aber wir sind glücklich darüber, dass wir nicht immer daran denken müssen und Wochenende für Wochenende im Lokalen viele begeisterte Menschen in unserem Stadion zusammenführen dürfen. Wir schulden es diesen Menschen, dass wir uns nicht von denjenigen, die am lautesten sind, notorisch unzufrieden, beeinflussen und die Freude stehlen lassen.

Anderes Thema: wie viele Trikots des FCB-Spielers Embolo hat der FC Basel im letzten Jahr verkaufen können?

Sie sprechen unseren derzeit beliebtesten Spieler an. Wir verkaufen normalerweise pro Jahr zwischen 400 bis 450 Trikots mit der Namensschrift der Topspieler.

Vergleichen wir diese Zahl mit jener von Jaime Rodriguez, einem kolumbianischen Spieler im FC Real Madrid.

Da stehen Welten dazwischen. Das glaubt man fast nicht. Real hat bisher wohl rund dreissig Millionen Shirts von Jaime Rodriguez weltweit verkauft. Ich möchte gar nicht erst nachrechnen, wie gross der Faktor zwischen Basel und Madrid ist. Wir müssen dieses Faktum akzeptieren. Wir sind in einem Markt voller Phantasien und Übertreibungen. Wir akzeptieren, dass die Phantasien für den Spieler X von Real Madrid oder vom FC Barcelona um ein Vielfaches grösser sind als für unseren Spieler Y. Wir wissen, dass wir im Schweizer Markt tätig und dort mit dem Schweizer Fanverhalten konfrontiert sind.

Durch welche Besonderheiten zeichnet sich dieses typische Schweizer Fanverhalten aus?

Die Fans in den Kurven decken sich in ihrer Mehrheit weder in Zürich noch in Basel mit den offiziellen Merchandisingartikeln ein. Aber auch Menschen in Ihrem und in meinem Alter begeben sich in der Schweiz nicht an einem Samstagnachmittag in Spielertrikots gekleidet in die Innenstadt. In Deutschland oder England aber tun sie das. Der Leibchenverkauf ist im Merchandisinggeschäft der treibende Faktor. Sie müssen nicht nach Madrid schauen: Es reicht, in Deutschland kleinere Klubs als den FC Basel zu analysieren, und Sie sehen, dass dort die Leibchenverkaufszahlen um ein Vielfaches höher liegen. Das ist der hiesigen Mentalität geschuldet.

Der Leibchenverkauf ist als Metapher für die Sendemacht eines Clubs oder einer Marke zu sehen. Haben Sie sich darin ergeben, in einem kleinen, nicht entwicklungsfähigen Schweizer Markt gefangen zu sein?

Wir denken immer weiter… Unsere jüngste Idee war, dass das Trikot ab diesem Jahr von den Mitgliedern in Form einer Abstimmung «gewählt» werden kann.

…anders gefragt: Sind die zuletzt auch dank Transferüberschüssen erreichten 100 oder 110 Millionen Franken an Umsatz die oberste Grenze für Ihr Unternehmen?

Wir haben tatsächlich zuletzt von ausserordentlichen Effekten profitiert. Transfererlöse sind das eine, Prämienausschüttungen des europäischen Fussballverbandes das andere. Dadurch sind unsere Erträge zuletzt um beinahe 30 Prozent höher ausgefallen. Wir haben nicht aufgegeben. Aber wie alle anderen Unternehmen auch müssen wir uns stets mit den Realitäten des Markts auseinandersetzen. Es bringt nichts, wenn ich als Präsident lauthals verkünde, unser Ziel müsse nächstes Jahr der Verkauf von 10 000 Trikots sein. Das wäre dasselbe wie die Zielvorgabe an das Fanionteam, die Champions League zu gewinnen. Diese Vorgaben wären lediglich Quellen von Frustration. Als Unternehmensverantwortlicher darf man die Zielvorgaben nur machen, wenn man die eigenen Mittel und die Marktrealitäten kennt. Natürlich ist es unser Ziel – und ausgesprochen jenes der Marketingabteilung –, den FCB über die engen Grenzen der Stadt oder des Kantons Baselland hinaus den Menschen näherzubringen. Das würde logischerweise dazu führen, dass auch Kinder in Zürich oder in Chur mal ein FCB-Leibchen tragen würden. Dennoch darf man die Relationen nicht aus den Augen verlieren. Einer wahnsinnigen Steigerung von zwanzig oder dreissig Prozent würden hundert verkaufte Trikots mehr pro Jahr entsprechen. Das ist in absoluten Zahlen immer noch bescheiden.

Der FC Bayern München reist in seinen Vorbereitungen nach Katar in den Nahen Osten oder in die USA, viele grosse Teams bereiten sich in Asien vor. Sie bearbeiten gezielt neue Märkte und steigern den Markenwert und direkt die Merchandisingzahlen. War für die Schweizer Qualitätsmarke FCB eine gezielte, wertvermehrende Asienreise noch nie ein Thema?

Doch, im Frühjahr 2015 war dies ein konkretes Thema. Wir hatten zusammen mit einer Agentur die Idee, nach der Saison zwei Spiele in Japan zu absolvieren. Das Vorhaben war weit fortgeschritten – und hing damals mit dem japanischen Spieler Yoichiro Kakitani zusammen, der in dieser Zeit bei uns aktiv war. Wir wissen nicht ganz genau warum, aber das Projekt wurde nie Realität. Wir glauben, es hing mit dem Umstand zusammen, dass der Spieler Kakitani bei uns in Basel schlicht während immer weniger Minuten auf dem Platz stand. Das Interesse der japanischen Partner kühlte deshalb ab und erfror zum Ende vollständig.

Ich kann mich an ein Spiel zwischen zwei englischen Mittelklassvereinen erinnern, in denen je ein Chinese im Kader stand, und deshalb wurde das Spiel in China live von einem zweistelligen Millionenpublikum verfolgt. Viele Clubs versuchten seither über gezielte Spielertransfers neue Märkte zu erschliessen. Ist dies Teil einer Basler Strategie?

Wir haben in dieser Sache viel mit dem Fall des Spielers Kakitani lernen dürfen, der inzwischen aus sportlichen Gründen in seine Heimat zurückgekehrt ist. Die erste Lehre aber machten wir früher: mit Spielern aus Ägypten. Mohamed Salah und Mohamed Elneny, zwei Nationalspieler ihres Landes, spielten im FCB. Zeitgleich entstand in Ägypten ein medialer Hype um den FCB, der uns verblüffte. Er hatte Auswirkungen. Eine Weile hatte der FCB von den Clubs im deutschsprachigen Raum nach Bayern München, Borussia Dortmund und Schalke online die meisten Followers. Die User-Zahlen stiegen vor allem in Ägypten enorm an. Wir bewegen uns heute auf einem Niveau, das für einen Schweizer Club unglaublich ist. Doch hier sind die Folgen spürbar: Wir sind damit herausgefordert, in verschiedenen Sprachen zu kommunizieren. Sei es nur, um unsere Facebook-Seite so zu kontrollieren, dass keine unliebsamen Botschaften darauf verbreitet werden.

Kann das Umfeld eines Clubs von derartigen Medienphänomenen profitieren?

Wir haben erfahren, dass die Stadt Basel in ägyptischen Nachrichten eine Weile lang die meisterwähnte europäische Stadt war. Das war damals, als wir Chelsea schlugen und mit dem Spieler Mohamed Salah in den Halbfinal der Europa League einzogen.

Das wäre ein guter Zeitpunkt für eine Merchandisingmarkterweiterung in Ägypten gewesen.

Wir hatten uns exakt das überlegt. Wir spürten, dass diese Aufgabe enorm komplex gewesen wäre. Wir sahen die tiefe Kaufkraft im Land, und in der Endabrechnung verzichteten wir auf diese Ausweitung. Als der japanische Spieler Kakitani zu uns kam, stellten wir nochmals dieselben Überlegungen an.

Kam der Spieler Kakitani aus sportlichen oder aus vermarktungstechnischen Gründen nach Basel?

Wir verpflichteten ihn aus rein sportlichen Gründen und merkten erst danach, dass hier ein Vermarktungspotential schlummert.

Warum kam es hier nicht zu einer Markterweiterung in Japan?

Der Spieler schaffte es sportlich nicht, die zur Vermarktung notwendige Führungsrolle zu übernehmen.

Zusammengefasst: Der FC Basel hat keine Steigerungsmöglichkeiten mehr?

Wir sind in einem nationalen Markt tätig, den wir noch besser bearbeiten können. Wir müssen noch mehr herausholen, nicht nur im Merchandising, sondern auch im Verkauf von Jahreskarten, wo wir heute bei rund 25 000 Stück stehen.

Der FCB ist sechsmal Schweizer Meister in Folge, auch derzeit mit Vorsprung Klassenprimus – im sportlichen Bereich ist eine Steigerung noch schwerer vorstellbar.

Wir blicken auf eine unglaubliche Serie zurück, das stimmt. Als ich 2009 antrat, war es mein Anspruch, uns strukturell und personell professioneller aufzustellen. Ich wollte eine Clubleitung schaffen, die ganz klar im Interesse eines leistungsoptimierten Teams führt – ich wollte nie, dass in diesem Club Eigenpositionen optimiert würden. Wir sind nun tatsächlich an einen Punkt gelangt, an dem es auf nationaler Ebene sportlich fast nicht besser werden kann.

Stimmt es, dass Ihr Club – so wie das die NZZ einst geschrieben hat – deshalb gar keine Vision mehr haben kann?

Wir müssen das Team in unserem Club immer wieder neu erfinden. Sportlich beginnt jedes Geschäftsjahr, jede Saison, bei null. Gewinnvorträge zu machen, ist auf dem Rasen nicht möglich. Die Konkurrenz hält uns fit. Oder sagen wir es anders: Wir könnten uns nicht wie in der sogenannt normalen Unternehmenswelt an einer Marktposition zwei erfreuen. In der Schweiz die Nummer zwei zu sein, käme für uns bereits einer Niederlage gleich. Das ist eine anspruchsvolle Ausgangslage, die wir jedes Jahr von neuem antreffen.

In vielen Unternehmen ist vieles planbar. In Ihrem Unternehmen schiesst ein Spieler an den Pfosten statt ins Netz, und schon ist die europäische Geldliga weit entfernt. Halten Sie als Chefplaner und ständiger Kalkulator des Zufälligen diese Unwägbarkeiten gut aus?

Das härteste Erwachen aus meiner Illusion ist, dass man diese Unwägbarkeiten mit der Zeit nicht besser aushält. Ich finde das schlimm.

Warum?

Ich dachte einst, ich würde mich an den Zufall gewöhnen. Dem ist nicht so. Als ich noch Fussballfan war, las ich immer wieder mit Erstaunen über Präsidenten, die ihre eigenen Teams nicht mehr spielen sehen wollten. Das kann ich mittlerweile verstehen, obwohl das Schöne an diesem Job doch genau dies ist: den Fussball als Spiel hautnah zu erleben. Die Ohnmacht nagt an einem.

An Ihnen?

An mir, ja. Es ist schwer zu ertragen. Schiedsrichterentscheide, Fehlschüsse, Niederlagen. Zum Glück gewinnen wir mehr, als wir verlieren.

Das klingt ein wenig absurd: Emotionen sind doch die Währung, mit der die Fussballunternehmen ihr Produkt handeln.

Natürlich, das stimmt. Ich bin sicher, in unserer Region wird weit übers Wochenende hinaus jeweils noch vom letzten Spiel gesprochen. Deshalb braucht es wohl auch Niederlagen, so absurd das aus meinem Mund klingen mag. Nur so entstehen wieder grosse Emotionen, wenn man gewinnt. Kollektive Freude braucht kollektive Enttäuschung, um sich abheben zu können. So entsteht erst eine tiefere Verbundenheit zum Club und zum Team.

Ist der FC Basel ein Vermittler zwischen der sogenannten A- und B-Schweiz? Zwischen global tätigen Unternehmen und ihren internationalen Managern auf der einen Seite und den immobilen Einheimischen, die nicht an Steueroptimierungen denken und national verhaftet sind?

Wie kommen Sie darauf?

Basel spielt vor der Kurve der bodenständigen Fans mit dem Brand des Multis Novartis auf der Brust.

Unsere Gesellschaft hat sich in den letzten dreissig Jahren in diese Richtung der zwei Tempi oder Schichten verändert. Mit zwanzig nahm ich die Gesellschaft anders wahr: mit einem breiten Mittelbau, mit ein paar reichen und auch mächtigen Ausreissern und Menschen, die wirtschaftlich Not leiden. Ich glaube, es hat eine Spaltung stattgefunden und die Mitte wird aufgeweicht. Das widerspiegelt sich in der Politik, in der Extrempositionen mehr Bedeutung gewonnen haben. Das ist in den USA schon länger zu sehen, in der Schweiz ist es aber ein eher jüngeres Phänomen. Der FCB ist in Basel sicherlich ein integrierendes Element, das dieser Entwicklung entgegenwirkt, aber auch mit dem Phänomen zu kämpfen hat, dass sich immer ausgeprägter auch in der Schweiz eine sehr laute Empörungsgesellschaft durchsetzt.

Wie erfahren Sie die breite Verwurzelung des Clubs?

Es spielt keine Rolle, ob ich an einem Treffen von Verwaltungsräten oder von ganz normalen, durchschnittlichen Fans bin – der FCB ist stets für alle immer dasselbe. Wir sagen klar: unsere Welt ist die Schweiz, aber wir reisen durch Europa. Wir vergessen nie, woher wir kommen und wer unser Stammpublikum ist. Unsere Wirtschaftlichkeit hängt vom Stammpublikum ab, aber wir haben den Anspruch, international tätig zu sein. Das ist ein willkommener Zusatz. Es wäre schlimm, wenn wir uns verlieren würden.

Wie könnte das passieren?

Wenn Real Madrid zu Besuch kommt, könnten wir die Tickets dreimal teurer als üblich verkaufen. Wir wollen aber, dass die Menschen in der Muttenzerkurve für 25 Franken ein Spiel besuchen können. Egal ob Sitten oder Real Madrid zu Besuch ist.

Welcher ist der kritischste Punkt, den der FC Basel unter Ihnen derzeit bewältigen muss?

Der Trainer muss gewinnen. Aber für uns im Vorstand ist es eine andere Herausforderung, die kritisch ist: Wir müssen den Club in einem erfolgsverwöhnten Umfeld navigieren. Dies ist eine grosse Herausforderung, weil dies unglaublich lähmen kann. Ich suche und finde die nötige Energie bei Menschen, die positiv sind und mit ihrer Freude dazu beitragen, dass wir überhaupt eine derartige Erfolgsphase erleben dürfen. Die Energie braucht es, um diejenigen hinter sich zu lassen, die bewusst oder unbewusst darauf hinarbeiten, den FC Basel zu schwächen.

Wer arbeitet darauf hin?

Ich rede über Details, die ein grosses Bild ergeben: Im Stadion genügt plötzlich nichts mehr den gewachsenen Ansprüchen. Die Kosten für die Polizei steigen. Fans wollen jenen, aber nicht diesen Spieler aus jenem Club. Erfundene Krisen und dubiose Theorien, welche die Verantwortlichen desavouieren sollen, finden den Weg in die Öffentlichkeit. Zusammengefasst: unsere Probleme bewegen sich derzeit auf einer Metaebene, hoch oben. Die Rangliste und die wirtschaftlichen Verhältnisse bieten keinen Anlass zur Sorge – aber wo sind die wahren Probleme? Dieses besessene Suchen kann der Anfang der mageren Jahre sein, die laut Bibel «immer» auf die sieben fetten Jahre folgen.

Ist der FC Basel metaphysisch zu erfolgreich?

Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht zu Tode siegen. Ganz klar. Gier und eine florierende Selbstverständlichkeit sind die Gifte der Siege. Begehrlichkeiten wachsen. Egos könnten ausbrechen. Für uns besteht die Herausforderung darin, die Probleme früh zu erkennen und anzusprechen und immer wieder positive Reize zu schaffen. Wer in Basel arbeitet, darf nicht selbstzufrieden werden. Man muss sich weiterentwickeln. Das hält uns wach.

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