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Hier macht sich einer angreifbar

Zu Josef Ackermanns Essay

Diesen einen Satz kennt in der Schweiz jedes Kind, jeder Bürger und jeder Stammtischbesucher: «Wir jammern auf hohem Niveau.» Der Satz amalgamiert eine selbstkritische, sanft nörgelnde Haltung mit jener einer stillen Selbstzufriedenheit: Eigentlich geht es uns ja gut, eigentlich haben wir keinen Grund zum Jammern. 

Und dieser Satz verliert gerade seine universelle Gültigkeit.
Die selbstkritische Selbstzufriedenheit weicht einer neuen, auf Anhieb schwer fassbaren Haltung. Viele nennen sie, unter Berufung auf einen Buchtitel Karl Schmids, «Unbehagen». Womöglich wäre ein anderer Ausdruck präziser: «Angst». Martin Heidegger spricht in «Sein und Zeit» von ihr als einer «Grundbefindlichkeit» des Daseins. Sie richtet sich nicht auf ein bestimmtes Objekt, sondern ist diffuser Natur. Im Kontext eines wohlhabenden Landes wie der Schweiz lässt sich die neue Grundbefindlichkeit näher fassen: Es ist die Abstiegsangst, die regiert.
Die Finanzkrise hat die Verletzlichkeit der Schweiz für alle spürbar gemacht.

Es vergeht kein Tag, an dem in den Medien nicht von Klüften zwischen Wirtschaft und Gesellschaft die Rede ist, von der Entfremdung zwischen Politik und Wirtschaft. Anderseits entstehen neue Bürgerinitiativen wie Jobst Wagners Strategiedialog21, junge Unternehmer wollen plötzlich in den Nationalrat, Manager in verantwortungsvollen Positionen wagen sich aus der Deckung. Als Sergio Ermotti, CEO der UBS AG, kürzlich Forderungen an die Politik formulierte, schossen sich die meisten Medien auf ihn ein. Das sehe ich anders. Solche Wortmeldungen sind nicht Ausdruck der Arroganz der Macht. Sie sind Ausdruck eines neuen, ernstgemeinten zivilgesellschaftlichen Bewusstseins. Raus aus dem Privaten, rein in die Auseinandersetzung!

Ich habe Josef Ackermann vor einem Jahr kennengelernt, anlässlich eines Interviews für dieses Magazin. Als ich ihn jüngst um die Darlegung seiner Sicht auf die Schweiz bat, hat er sich Bedenkzeit ausbedungen – und lieferte nach einem Monat ein umfangreiches Manuskript.
Ich habe mich entschieden, es ungekürzt abzudrucken: Hier denkt ein Bürger über sein Land nach, der auch den Rest der Welt kennt. Die grosse Frage ist: Wie geht die Confoederatio Helvetica, dieses filigrane, gewachsene Gebilde, mit globalen Entwicklungen um, die es weder aufhalten noch ignorieren kann? Dabei wartet Ackermann mit konkreten Vorschlägen auf: Koalitionsvertrag der Bundesratsparteien, Kompromissbereitschaft im politischen Prozess, mehr persönliches Commitment der Politiker, Augenmass in den Teppichetagen der Wirtschaft, Förderung des zivilgesellschaftlichen Engagements von Mitarbeitern durch die Unternehmen.

Schreiben ist ein persönliches, dabei aber stets öffentliches Commitment – der Autor haftet für das Geschriebene. Er macht sich angreifbar. Darum, ganz klar: möge es mehr solcher Stimmen geben!

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