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Die verantwortungslose Partei

Die SP ist die effizienteste Spielerin in der Schweizer Parteienlandschaft. Sie ist erfolgreich, weil sie in vielen Fällen ein Doppelspiel betreibt. Ein Blick auf die Mechanismen hinter dieser Täuschung.

Die Schweiz wird politisch von zwei Polparteien geprägt: der SP und der SVP. Während die SVP gesamtschweizerisch (gemäss den eidgenössischen Wahlen 2011) das grösste Wählerpotential hat, gelingt es der SP trotz einem deutlich geringeren Rückhalt in der Wählerschaft, einen viel grösseren Anteil in den Regierungen der Kantone und der grossen Städte zu gewinnen. Auch im Bundesrat ist die SP doppelt so stark vertreten wie die SVP. Die SP setzt ihr Potential viel effizienter um als die SVP. Es gelingt ihr, mit ihren begrenzten Ressourcen deutlich mehr Wirkung zu erzielen und politische Spuren zu hinterlassen als jede andere Partei in der Schweiz. Wie ist dieser Erfolg zu erklären?

Mobilierungsmaschine JUSO

Winston Churchill wird der Spruch zugeschrieben, wer mit zwanzig kein Sozialist sei, habe kein Herz – wer mit vierzig immer noch einer sei, keinen Verstand. Dieses provokative Bonmot ist mehrdeutig zu verstehen. Einerseits legt es nahe, dass sich die meisten Menschen einmal mit Fragen der sozialen Gerechtigkeit auseinandersetzen und in diesem Zusammenhang mit linken Ideen sympathisieren. In der Tat übt sozialistisches Gedankengut auf Jugendliche eine natürliche Anziehungskraft aus. Die Evolutions- und Entwicklungspsychologie liefert nachvollziehbare Belege für diesen Sachverhalt. Politische Gruppierungen, die vorgeben, sich für soziale Gerechtigkeit einzusetzen, können deshalb auf einen natürlichen Vertrauensvorschuss zählen.

Der Satz deutet allerdings auch darauf hin, dass der Flirt mit dem Sozialismus im Normalfall ein temporäres Phänomen darstellt. Die meisten Menschen altern nicht nur körperlich, sondern auch geistig. Dieser Prozess wird bisweilen als Reifung bezeichnet.

Es ist eine Frage des Standpunkts, die Haltung der SP als jugendlich oder als unreif zu bezeichnen. Tatsache ist dagegen, dass keine andere Schweizer Partei ihrer Jugendorganisation einen derartigen Stellenwert einräumt wie die SP. Gemäss Statuten sind für die JUSO zwei Plätze in der Geschäftsleitung der Partei reserviert. Zusätzlich übernimmt der JUSO-Präsident das Amt eines SP-Vizepräsidenten. Die Jungsozialisten prägen oft die Diskussion an den Parteitagen. Die Schlagworte der Jungsozialisten finden direkten Eingang in das Parteiprogramm der Mutterpartei.

Weshalb können die Jungsozialisten einen derart grossen Einfluss in der SP wahrnehmen? Einerseits hat das wohl mit der Bequemlichkeit der Parteibasis zu tun. In ihrem jugendlichen Elan arbeiten die Jungsozialisten viel, sie sind auf der Strasse präsent und sammeln Unterschriften für die unzähligen Initiativen und Referenden, welche die SP als Oppositionspartei auszeichnen. Ein wesentlicher Teil der politischen Mobilisierung der SP erfolgt über das unbezahlte Engagement der Jusos. Da ist es bequem, die Jungen gewähren zu lassen.

Als zweites kommt wahrscheinlich das schlechte Gewissen der Parteibasis hinzu. Die Jusos verkörpern die Ideale, welche die Älteren verkündeten, als sie noch jünger waren. In Wirklichkeit haben sich die gestandenen Sozialdemokraten längst von diesen Idealen verabschiedet. Statt sich diese Lebenslüge einzugestehen, geben sich gestandene Sozis jugendlichen Träumen von einer in natürlicher Weise gerechten und friedlichen Welt hin. Statt zu erkennen, dass man sich getäuscht hat, dass die Realität komplexer und der Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung in den seltensten Fällen monokausal ist, klatschen sie Beifall, wenn die Jungen das Privateigentum verhöhnen und die Überwindung des Kapitalismus fordern. Sie nicken eilfertig, wenn der Kapitalismus als Ursache der Profitgier und diese als Wurzel allen Übels proklamiert wird, obwohl sie ihr ganzes Leben vom diesem Kapitalismus profitiert haben.

Das Engagement der Jusos für soziale Gerechtigkeit wirkt nachvollziehbar. Die Gemeinschaft in Form des Staats soll sich für die sozial Schwachen einsetzen. Der Profitgier soll einen Riegel geschoben werden. Einem solchen Engagement wird reflexartig viel Sympathie entgegengebracht, auch wenn die vorgeschlagenen Rezepte an der Situation wenig ändern oder sie sogar noch verschlimmern. Wer die Vorschläge der Juso und der SP mit dem Hinweis auf die Selbstverantwortung der Individuen und dem Leistungsstreben als Quelle von Innovationen kritisiert, wird als kaltherzig und gewinnsüchtig gebrandmarkt. Diesen Effekt weiss die SP für sich zu nutzen.

Inhaltliche Geschlossenheit

Die SP gilt als Partei der Intellektuellen und  Intellektuellen wird eine grosse Debattierlust nachgesagt. Wo Debattierfreude herrscht, sollte auch Meinungsvielfalt und Toleranz gegenüber anderen Ansichten vorhanden sein, sollte man meinen. Wenn man das Meinungsspektrum innerhalb der Nationalratsfraktionen anschaut, wird man allerdings eines Besseren belehrt. Das Parlamentarierrating der NZZ, welches die Positionen der Ratsmitglieder auf einem Links-Rechts-Spektrum anordnet, weist für die SP-Fraktion die kleinste Banderbreite auf. Die SP-Fraktion zeigt sich als kompakteste Gruppe innerhalb des Nationalrats. Dass die SP weniger Vielfalt aufweist als die SVP, selbst nachdem die SVP-Fraktion mit der Abspaltung der BDP ihren linken Flügel losgeworden ist, mag den politischen Beobachter erstaunen. Tatsache ist, dass die SP zwar Vielfalt fordert, in ihrer Praxis aber einen erstaunlichen Einheitsbrei vorlebt.

Der geschlossene Auftritt der SP-Fraktion lässt darauf schliessen, dass die parteiinternen Auswahlverfahren sehr effektiv arbeiten. Die politische Ochsentour im Parteiapparat stellt sicher, dass nur angepasste Personen in höhere Positionen gelangen.

Machtmensch Levrat

Massgebend für den Erfolg der SP in den letzten Jahren ist allerdings nicht nur der effizient arbeitende Parteiapparat mit geschlossen auftretenden Fraktionen, sondern auch ihr machtbewusster Präsident. Wenn man an machtbewusste Schweizer Politiker denkt, so fällt einem in erster Linie Christoph Blocher ein. Doch in dieser Hinsicht kommt SP-Präsident Christian Levrat so nahe an Blocher heran, dass er die übrigen Schweizer Politiker weit hinter sich lässt.

Obwohl sie zu verschiedenen Generationen gehören, teilen sie, zumindest in politischer Hinsicht, einige interessante Merkmale. Wie Blocher hat sich Levrat genau überlegt, in welcher Partei er es mit seinem politischen Gestaltungswillen am Weitesten bringen kann. Für Levrat trifft das eingangs erwähnte Churchill-Zitat nicht zu. Als junger Mann war Levrat ein Mitglied der Jungen FDP. Spätestens da wird es ihm bewusst geworden sein, welche Summen in den Schweizer Subventions- und Umverteilungs-Strömen fliessen. Es wird ihm auch klar geworden sein, wieviel Macht die Personen in den Händen halten, die sich nahe dieser Ströme aufzustellen wissen. Dass die SP als neue Staatspartei mittlerweile deutlich näher an diesen Töpfen steht als die FDP, dürfte seinen Entscheid, in die SP zu wechseln, sicher nicht behindert haben.

Sein Umgang mit den Resultaten der Parlamentswahlen 2011 ist ein gutes Beispiel für Levrats Machtbewusstsein. Wie schon in den vorherigen Wahlen verlor auch dieses Jahr die SP wieder an Unterstützung in der Bevölkerung. Verglichen mit 2007 sank ihr SP-Stimmenanteil von 19.5% auf 18.7%. Dank viel Glück bei den Listenverbindungen konnte die SP aber, ganz im Gegensatz zur SVP, ihren Position im Nationalrat stärken. Die SP-Fraktion gewann drei Sitze. Diesen Umstand nutzte Levrat unverfroren, um die SP als grosse Gewinnerin dieser Wahlen zu präsentieren.

Eine kompakte Fraktion unter der Führung eines machtbewussten Präsidenten ist ein schlagkräftiges Instrument in einer parlamentarischen Demokratie. Auch wenn man in der Minderheit ist, kann man damit einiges erreichen. Es reicht zwar nicht, um politische Lösungen für drängende gesellschaftliche Probleme zu erzielen. Es ist aber äusserst hilfreich, um Sonderlösungen für die eigene Klientel zu erkämpfen.

Zur Wählerschaft der SP gehören bezeichnenderweise nicht die Arbeiter und die Armen. Diese wählen vorwiegend SVP. Wer SP wählt, gehört zu den besser verdienenden und besser gebildeten Schichten. Solche Personen wissen die Spill-overs der SP-Politik gezielt zu nutzen. Diese Politik zeichnet sich dadurch aus, dass der Staat einen immer grösseren Stellenwert einnimmt, sowohl im wirtschaftlichen wie  im sozialen Bereich. Profiteure dieser SP-Politik sind nicht nur die Staatsangestellten, sondern auch all jene Berufsgruppen, welche sich im Umfeld des Sozialstaates tummeln. Seien dies Beratungsunternehmen, welche einen der unzähligen Aufträge aus der Verwaltung ausführen, seien dies NGOs, welche in der Politik formulierte Entwicklungs- und Umweltziele umsetzen, seien dies Sozialarbeiter, welche als Agenten des Fürsorgestaates die sozialen Fälle betreuen.

Linke Medien

Wie kommt es, dass gerade der Partei, welche von einem der machtbewusstesten Parteipräsidenten geführt wird, die grösste Kompetenz bei der Lösung von sozialen Problemen zugesprochen wird?

Das Bild der SP in der Öffentlichkeit hat sehr stark mit der Rolle der Schweizer Medien zu tun. Die meisten Journalisten in der Schweiz stehen linken Parteien näher als bürgerlichen. Dass das SRF staatsfreundlich berichtet, ist verständlich. Dass aus dieser Situation eine SP-freundliche Haltung resultiert, folgerichtig. Doch auch die freie Presse äussert eine gegenüber den Linken vorwiegend wohlwollende Haltung. Die zeigte sich unlängst an der Kampagne, welche die Weltwoche gegen den Tages-Anzeiger-Chefredaktor Res Strehle losgetreten hatte.

Die Kampagne strotze vor Übertreibungen und Verdrehungen und verlief richtigerweise nach kurzer Zeit im Sande. Interessant ist, was in diesem Fall nicht zu Sprache kam. Res Strehle ist ein bekennender 68-er und fundierter Kenner der Marxschen Dogmatik. Als solcher war er in den Neunzigerjahren ein gerngesehener Gast bei linksextremen Lesergrüppchen in der Zürcher Szene, so beispielsweise beim «Revolutionären Aufbau». Der «Revolutionäre Aufbau» wurde später berüchtigt, weil er die Zürcher 1.-Mai-Demos für eigene Profilierungszwecken missbrauchte. Diese Nachdemos führten regelmässig zu Vandalismus und Sachschäden in Millionenhöhe.

Nun kann man Res Strehle selbstverständlich nicht für die Aktionen des «Revolutionären Aufbaus» verantwortlich machen. Mir geht es um etwas anderes. Man stelle sich vor, einem Chefredaktor einer grösseren Schweizer Tageszeitung könnten Kontakte zu einer Gruppe im rechtsextremen Milieu nachgewiesen werden. Mit Bestimmtheit würde eine solche Person in der Journalistengilde als untragbar erachtet und hätte ihre Stelle innert Wochenfrist los.

Das Herz der Medien schlägt mehrheitlich links. Dementsprechend finden die Vorstösse der SP häufig einen unkritisch sympathisierenden Widerhall in den Medien. Dass dies für die Schweizer Bevölkerung gravierende Folgen haben kann, lässt sich beispielsweise am Streit über den BVG-Umwandlungssatz belegen. Im Frühjahr 2010 wurde über die Senkung des BVG-Umwandlungssatzes auf 6.4% abgestimmt. Die SP und Gewerkschaften hatten gegen diese Vorlage das Referendum ergriffen. Obwohl mathematisch eindeutig belegt werden kann, dass die Senkung dieses Umwandlungssatzes aufgrund der demografischen Entwicklungen notwendig ist, wurde die Vorlage von der Bevölkerung wuchtig abgelehnt. SP und Gewerkschaften waren mit dem Schlagwort «Rentenklau» dagegen angetreten. Weder das Schweizer Fernsehen noch die Mehrzahl der Medien gaben sich die Mühe, die versicherungsmathematisch eindeutige Ausgangslage adäquat zu vermitteln. Wird der BVG-Umwandlungssatz gesenkt, so führt dies zwangsläufig zu einer Senkung der Rente aus dem angesparten Kapital. Sind die ausbezahlten Renten aufgrund der demographischen Fakten oder der Anlagemöglichkeiten zu hoch, so ist eine Rentensenkung nicht bloss angebracht, sondern unbedingt notwendig. Doch statt diesen Sachverhalt zu vermitteln, wurden die notwendigen Rentensenkungen als «Rentenklau» gebrandmarkt. Das Schlagwort stammt aus der Kampagnenabteilung der Gewerkschaften und trat einen Siegeszug durch die Medien an. Mit der Folge, dass nun tatsächlich ein Rentenklau stattfindet. Allerdings an den jungen Beitragszahlern, durchgeführt von den heutigen Rentnern.

Diese Beispiele zeigen: Eine aggressive Jungpartei, ein geschlossenes Auftreten unter einer starken Führung und eine wohlwollende Presse bildeten in den letzten Jahren die Basis für den Erfolg der SP.

SVP: Schlechte Karten

Die SVP gilt oft als nicht regierungstauglich. Dieser Eindruck entsteht, weil die SVP häufig Politiker als Kandidaten für Exekutivämter nominiert, die sich als kantige Oppositionspolitiker mit kämpferischen Auftritten profilierten. Bei Majorz-Wahlen haben solche Politiker oft schlechte Karten. Dieses Problem hat die SP hat nicht. Obwohl sie sich nicht weniger oppositionell gebärdet als die SVP, vermag sie immer wieder Kandidaten zu nominieren, die als wählbar gelten. Das hat mit der geschickten Arbeitsteilung zu tun, welche die SP betreibt: Die aggressive Oppositionspolitik überlässt sie den Juso und den Gewerkschaften. In einer solchen Konstellation können sich SP-Politiker profilieren, indem sie beispielsweise die Juso zur Mässigung aufrufen oder exzessive Gewerkschaftsforderungen in sanftere Worte kleiden. Indem sie sich scheinbar gegen ihre eigene Partei wenden, erscheinen diese Politiker als sachlich und schon fast überparteilich. Mit solchen Kniffen können die SP-Kandidaten sehr vorteilhaft arbeiten.

Generell ist der Auftritt der SP doppeldeutig, und wohl gerade deswegen äusserst erfolgreich. Wenn es um Wahlen in die Regierung geht, gibt sich die Partei staatsmännisch, wenn es darum geht, Beschlüsse der Regierung umzusetzen, ergreift man das Referendum. Sollen politische Programme in konkrete Gesetze und Erlasse umgesetzt werden, lässt man die kurzen Wege in Regierung und Verwaltung spielen. Indem sich die SP als Oppositionspartei inszeniert, weist sie die Verantwortung für die Politik der Regierung zurück, selbst wenn sie in dieser vertreten ist. Man beteuert unverdrossen, sich für die sozial Schwachen einzusetzen, greift aber ungeniert zur Macht, wo immer sie sich bietet. Keine Partei in der Schweiz beherrscht dieses Doppelspiel derart gut wie die SP.
 

Benno Luthiger ist Software-Entwickler und freier Publizist. Er war von 1993 bis 2005 Mitglied der SP.

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