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Die Facebook-Blase

Der Social Media-Musterschüler Facebook will an die Börse gehen. Dazu sollte er sich noch etwas einfallen lassen. Sonst stellt sich die Frage, welcher Traum zuerst platzt: der vom kostenlosen Weltnetzwerk oder der vom Duell auf Augenhöhe mit Google?

Die Facebook-Blase

Facebook ist ein phantastisches Unternehmen mit einem einzigartigem Produkt und Profil. Sein Gründer Mark Zuckerberg hat von Grund auf ein neues Medium sozialer Interaktion entworfen, das sieben Jahre nach seiner Markteinführung über 750 Millionen Menschen weltweit miteinander verbindet. Verbunden sein oder nicht verbunden sein – das ist die derzeitige existentielle Frage. Mit der Befriedigung dieses Bedürfnisses, das beinahe so fundamental geworden ist wie Essen oder ein Dach über dem Kopf, trifft Facebook den Nerv eines bedeutenden Teils der Weltbevölkerung.

Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist das Wachstum von Facebook ein Musterbeispiel für Kreativität und unternehmerisches Talent. Nutzerbasis, Erträge und Profite – alle Indikatoren folgten in den letzten sieben Jahren exponentiellen Kurven. Es ist daher keine Überraschung, dass Investoren, Investmentbanken und Finanzmedien sich überbieten in wilden Erwartungen über den Börsengang, der sich für die zweite Jahreshälfte 2012 abzeichnet. Die in Wirtschaftszeitungen kursierenden Bewertungen bewegen sich zwischen 50 und 100 Milliarden US-Dollar.

Diese Bewertungen rufen aber auch fundamentale Zweifel hervor: entsteht hier eine neue Finanzblase, die von Erwartungen unbegrenzten exponentiellen Wachstums ausgeht? Die Investorenstimmung jedenfalls befindet sich derzeit auf einem historischen Tief, und das Vertrauen der Märkte ist durch die Banken- und Staatsschuldenkrise zerrüttet. Es sollte daher sorgfältig darüber nachgedacht werden, welche Auswirkung es für die Stabilität der Finanzmärkte und die Weltwirtschaft hätte, wenn auf dieser fragilen Basis neue Blasen entstünden.

Der römische Dichter Decimus Junius Juvenalis fragte sich, wer die Wächter bewacht. Wir stellen eine ähnliche Frage: Quis pendit ipsa pretia? Wer bewertet die Bewertungen?

Facebook generiert die meisten seiner Einkünfte mit massgeschneiderter Werbung. Wenn eine Nutzerin in ihrem Profil angibt, dass sie in Zürich lebt, Skifahren und Wandern liebt, wird sie mit Werbung von nahegelegenen Outdoorshops, Seilbahnen und von deren Bergstationen aus bestens erschlossenen Skigebieten berieselt. Während andere Unternehmen viel Geld für detaillierte und geschützte Kundeninformationen ausgeben, erhält Facebook diesen Rohstoff dank seiner einzigartigen Kernapplikationen kostenlos – und ganz legal, weil freiwillig. Facebooks Eckpfeiler sind seine Nutzer. Wenn die Zahl der Nutzer wächst, werden auch die Einkünfte und Profite wachsen.

Die Voraussehbarkeit von S-Kurven
Die ökonomische Theorie diktiert, dass der Wert eines Unternehmens im wesentlichen aus dem Zeitwert seiner künftigen Profite besteht. Um Facebooks künftige Profite bewerten zu können, bedürfen wir eines treffenden Bildes seines Nutzerwachstums und dessen Entwicklung über die nächsten 10 bis 50 Jahre. Dazu haben wir ein Wachstumsmodell erarbeitet, das auf der historischen Entwicklung der Zahlen von Nutzern basiert, die regelmässig auf der Medienseite von Facebook publiziert werden.

Zunehmender Wettbewerb, einschränkende Randbedingungen und begrenzte Ressourcen ergeben eine logistische Kurve mit einer S-Form oder kurz: eine S-Kurve. Dieses Muster ist typisch für Arten, die unter Bedingungen darwinistischen Wettbewerbs wachsen, wie zum Beispiel eine Hasenpopulation in einem abgezäunten Gebiet. Zuerst explodiert die Population. Aber die vorhandene Nahrung kann nur eine begrenzte Zahl von Hasen ernähren. Sobald die Population die Grenzen ihres Wachstums erfährt, sinkt ihre Wachstumsrate. Letztlich erreicht die S-Kurve ihr Dach und die Population stabilisiert sich.2

Der Physiker und strategische Analyst Theodore Modis beschreibt diesen Prozess folgendermassen: «Immer wenn Wachstum unter Wettbewerbsbedingungen (survival of the fittest) stattfindet, wird sich eine ‹Population› entlang der S-Kurve entwickeln. Das gilt für die Verkäufe eines neu auf den Markt gebrachten Produktes, für die Verbreitung einer neuen Technologie oder Idee, die Leistung eines Athleten oder die lebenslangen Errungenschaften der Kreativität eines Künstlers. Und weil letztlich jede Nische in der Natur – und auf dem Markt – gefüllt wird, besitzen S-Kurven Voraussehbarkeit.»3

 

Bewertung von 32,9 Milliarden US-Dollar in einem Szenario mit «extremes Wachstum»
Das Paradigma der S-Kurve gilt auch für die Zahl von Facebook-Nutzern: zu Beginn wächst die Kurve exponentiell. Aber unter den Einschränkungen des Wettbewerbs, einer begrenzten Zahl von Nutzgeräten (Smartphones oder Computer), undurchdringbaren Märkten und einer erst recht begrenzten Weltbevölkerung (derzeit ca. 7 Milliarden) klingt die Wachstumsrate ab. Die Zahl der Nutzer stabilisiert sich und erreicht einen Plafond. Der spezifische Wachstumsprozess stoppt. Zusätzliche Expansion beschränkt sich auf systemisches Wachstum – wie zum Beispiel durch allgemeines Wachstum der Weltbevölkerung, des globalen Bruttoinlandprodukts oder durch das Wegfallen technologischer Einschränkungen.

Wir benutzen ein logistisches Modell einer S-Kurve, um mit den vorhandenen Daten eine statistische Analyse durchzuführen. Mit dieser neuen Methode zur Bewertung von Unternehmen im Sektor von sozialen Netzwerken konnten wir beobachten, dass das Wachstum der Facebook-Nutzer im Jahr 2010 einem fundamentalen Wandel unterlag: die Zunahme von Nutzern begann deutlich, von der exponentiellen Kurve (die aus einem unbegrenzten Wachstum folgen würde) abzuweichen, und folgte nun gänzlich der natürlichen S-Bahn der logistischen Funktion (die aus zunehmendem Wettbewerb resultiert). Diese Analyse liess uns drei verschiedene Szenarien entwickeln: ein Basisszenario, ein Szenario «hohes Wachstum» und ein Szenario «extremes Wachstum». Unsere Analyse ergab im Falle des Basisszenarios eine Bewertung von 15,3 Milliarden US-Dollar, 20,2 Milliarden im Szenario «hohes Wachstum» und 32,9 Milliarden im Szenario «extremes Wachstum».

Im besten Fall müssten Profite um Faktor 1,5 bis 3 gesteigert werden
Nach Angaben von Facebook wurde im letzten Januar eine Kapitalerhöhung vorgenommen, die das Unternehmen auf 50 Milliarden US-Dollar – also 17,1 Milliarden US-Dollar mehr als selbst unsere optimistischste Schätzung ergab – bewertet hat. Von Finanzmedien verbreitete Gerüchte bewerten die Firma bis zu 100 Milliarden US-Dollar. Nach unserem Modell würde diese Bewertung implizieren, dass Facebook seinen Profit pro Benutzer vor dem Börsengang im Falle des Basismodells um einen Faktor von 3 bis 6 erhöhen müsste, im Wachstumsszenario um den Faktor 2,5 bis 5 und im Szenario des extremen Wachstums um immer noch 1,5 bis 3.

Es scheint, als habe Facebook– zumindest rhetorisch – bereits damit begonnnen, sich mit der Frage der gesättigten Nutzerzahlen auseinanderzusetzen. Mark Zuckerberg hat kürzlich verfügt, dass nicht mehr die Zahl der Nutzer massgeblich sein dürfe, um den «traffic» zu messen, sondern dass das Volumen von mit anderen Nutzern geteilten Empfehlungen die Aktivität auf dem Netzwerk besser repräsentiere.4

Gelingt es Facebook nicht, die Einkünfte pro Nutzer zu erhöhen, haben wir es somit mit einer Blase zu tun, die auf nichtlinearen demographischen Dynamiken beruht.

Die vollständige Studie kann heruntergeladen werden unter: http://arxiv.org/abs/1110.1319

 

Didier Sornette ist Professor für Entrepreneurial Risk und Direktor des Financial Crisis Observatory an der ETH Zürich. Er ist Mitglied des Swiss Finance Institute und zählt zu den weltweit führenden Risikoforschern.

Peter Cauwels ist Senior Researcher am Lehrstuhl für Entrepreneurial Risk an der ETH Zürich. Er promovierte in Physik an der Universiteit Gent und war Leiter des Research Global Markets bei BNP Paribas Fortis.

 

 


 

1 In jedem dieser Szenarien errechneten wir den Wert der Firma mit einem Diskontierungsfaktor von 5 Prozent, einer Gewinnmarge von 29 Prozent und Einkünften von jährlich 3,5 US-Dollar pro Benutzer – all diese Zahlen wurden konservativ gewählt, um die Firma nicht unnötig abzuwerten.

2 Zvi Griliches: Hybrid Corn. An Exploration of the Economics of Technological Change. Technology, Education and Productivity. Early Papers with Notes to Subsequent Literature. New York: Basil Blackwell, 1988. S. 27-52.

3 Theodore Modis: «Anticipating the Economic Turnaround with S-curves», (15. Januar 2009). http://www.growth-dynamics.com/articles/Seifert_REVISED.pdf (zuletzt besucht am 14. September 2011).

4 PDA, the digital content blog: «Facebook’s revenues are up, but what about user numbers?» The Guardian (8. September 2011), http://www.guardian.co.uk/technology/pda/2011/sep/08/facebook-revenues-ipo

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